Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 27: Freitag, 5. Juli 2019
Downhill Running

Waltenberger Haus - Hohes Licht - Rappensee - Einödsbach - Oberstdorf
[Karte]

Auf der Hütte gibts von halb sieben bis halb acht Frühstück. Da ich nicht hetzten muss, steh ich kurz vor sieben auf und bin zehn Minuten später unten in der Stube. Gestern fragte mich die Hüttenwartin, ob ich Halbpension oder à la Carte möchte. Da mir Vorspeise, Hauptgang und Dessert zu viel waren, entschied ich mich gegen die Halbpenstion und bestellte mir nur eine Portion Spaghetti. Heute Morgen war ich dann ganz überrascht, als an der Theke zuerst mal 13 Euro verlangt wurden, um Kaffee, Brot und Fertigmüsli zu bekommen. Ich zückte mein Portemonnaie und fand darin nur noch 10 Euro. Upsala, da hätt ich gestern ein bisschen besser aufpassen müssen. Aber das Mittagessen, die vielen Getränke, Abendessen, Duschen und die Übernachtung gingen doch ins Geld und kosteten mich fast 70 Euro. Mit so hohen Ausgaben hatte ich nicht gerechnet und auch nicht realisiert, dass wenn ich nicht Halbpension nehme, das Frühstück bei der Übernachtung dann auch nicht dabei ist. Sowas gibts auf den SAC Hütten in der Schweiz nicht, oder ist mir noch nie begegnet. Im Unterschied zu den deutschen und östereichischen Hütten, gibt es bei uns auch den den ganzen à la Carte Service nicht, den ich hier oft auch für übertrieben und unnötige aufwändig halte. Der Hüttenwart nimmt mir meine letzten zehn Euro ab und winkt mich dann etwas mürrisch durch und meint trocken: «Lass stecken, gib mir die zehn Euro, passt scho.» Es ist mir ziemlich peinlich, aber ich möchte die fehlenden drei Euro, die ich Tags zuvor schon zweimal als Trinkgeld gegeben hatte, nicht wieder geltend machen. Anyway. Ich bekomme mein Frühstück und vielleicht ist es das schlechte Gewissen, dass ich mich dabei eher etwas zurück halte.

Blick zurück zum Waltenberger Haus

Blick zurück zum Waltenberger Haus

Von einem anderen Paar, das gestern Abend relativ spät in die Hütte kam, erfuhr ich, dass es noch einen anderen Aufstieg zum Heilbronner Weg gibt, der kürzer ist, als die Route über die Bockkarscharte, wenn man zum Hohen Licht möchte. Dazu kann man gleich auf der Höhe der Hütte den Steilhang queren, um eine Felsnase herum laufen und dann im nächsten Tal aufsteigen. Die Querung sieht ziemlich giftig aus und die beiden kamen auch deshalb erst so spät in der Hütte an, weil ihnen das letzte Schneefeld zu gefährlich erschien und sie dann als Alternative über den davor liegenden Geröllhang abgestiegen sind, um dort auf den Hüttenweg zu kommen und dann über diesen wieder aufzusteigen. Ich fand das keine sehr kluge Entscheidung, denn solche Geröllhänge sind in der Regel keine gute Alternativen. Die Hüttenwartin meinte dann auf meine Frage, wie diese Route zu begehen sei: «Wenn du gestern gut zur Mädelegabel gekommen bist, dann schaffst du auch die Querung und den Aufstieg. Es gibt aber kaum Spuren, weil dieser Weg wegen des vielen Schnees zur Zeit kaum begangen wird.» Mit diesen Tipps im Gepäck, laufe ich dann los und schlage geduldig und sehr vorsichtig meine Tritte in die beiden Schneefelder, die es am Anfang zu queren gibt. Das Erste ist recht problemlos und mit der nötigen Vorsicht gut zu begehen, das Zweite ist dann aber ziemlich gifitg. Danach geht es über einen tollen, mit Seilen gesicherten Felsweg um die besagte Nase herum und wie beschrieben, liegt das nächste Tal wieder komplett im Schnee. Hier geht es zu Beginn sehr bequem und zügig berauf, bis man die letzten vielleicht 50 Höhenmeter erreicht. Die sind dann wieder anständig steil, aber auch ohne Pickel und mit der nötigen Vorsicht machbar. Einfach nicht hetzten und sich Zeit lassen und schön feste Tritte in den Schnee schlagen. Oben auf dem Grat trifft man wieder auf den Heilbronner Weg der mehrheitlich schneefrei ist. Was für ein toller Pfad, der vom Rappensee zur Kemptner Hütte führt. Er ist gut mit Seilen versichert, einmal geht es auch über eine Leiter und eine kleine Brücke. Eine Wegführung wie ich sie liebe, manchmal luftig über den Grat, zwischendrin brauchts auch mal die Hände, aber alles ist gut markiert und gesichert mit tollen Aus- und Tiefblicken. Immer wieder gilt es auch mal kleinere Schneefelder zu queren, aber der Grossteil der Route ist aper.

Heilbronner Weg

Heilbronner Weg

Bei der kleinen Steinscharte mache ich die Bekanntschaft mit zwei Jungs aus Füssen, die von der Österreichischen Seite aufgestiegen und jetzt etwas ratlos sind, ob sie direkt zur Mädelegabel weiter wollen, oder erst noch einen Abstecher aufs Hohe Licht machen sollen. Wir kommen ins Gespräch und als ich ihnen sage, dass ich auch aufs hohe Licht wolle, meinen sie, dass wir das doch gemeinsam angehen könnten. Die Zwei sind ziemlich zügig unterwegs und schlagen ein gutes Tempo an, dem ich kaum folgen kann. Als es in der linken Schneeflanke mal nach einem möglichen Aufstieg aussieht, prescht der eine der beiden gleich mal vor und steigt ein paar Meter im Schnee hoch. Da hier der Weg wieder komplett im Schnee liegt, sind natürlich wieder keine Markierungen erkennbar. Sein Kumpel und ich meinen aber, dass dies nicht nach einer Aufstiegsroute aussehe. Zum einen gibt es im Schnee überhaupt keine sichtbaren Spuren und auch Markierungen, oder sonst irgendwas, das auf einen Weg hindeuten würde, ist weiter oben im Fels nicht zu erkennen. Also hab ich mein GPS gezückt und schnell gesehen, dass der Weg erst hundert Meter weiter abzweigt. Als wir dann dort stehen, kommt noch ein dritter junger Mann dazu, der uns vorhin schon überholt hatte. Ich vermute, dass es sich um den Typen handelt, den ich beim Aufstieg durchs hintere Bockkar zur Socktalscharte schon hinter mir aufsteigen sah. Auf meine Frage antwortet er: «Ja das war ich. Ich habe dich im Aufstieg zum Waltenberger Haus vom Hüttenweg aus in der Traverse bei den beiden Schneefeldern gesehen und bin dann dem Weg und deinen Spuren gefolgt.» Weiter erzählt er, dass er eigentlich zum Rappensee wolle, sich aber nicht sicher sei, welcher Weg der richtige sei. Er war schon auf der richtigen Route, wurde im steilen Schneefeld aber unsicher und ist wieder bis zum Abzweiger zum Hohen Licht aufgestiegen. Als ich ihm sage, dass ich nachher auch über die Rapenseehütte absteige, zuerst aber mit den Jungs noch aufs Hohe Licht gehe, schliesst er sich uns auch noch an. Die zwei Jungs von Füssen sind ziemlich gesprächig, der Nachzügler (noch) nicht so. Zügig geht es nun auf den Gipfel. Auch hier ist nach einem letzten Schneefeld im oberen Bereich alles aper und sehr gut markiert. In einer knappen halben Stunde beglückwünschen wir uns dann auf dem zweithöchsten Gipfel der Allgäuer Alpen und können trotz Wolken eine wunderbare Rundumsicht geniessen. Wir suchen uns alle ein windgeschütztes Plätzchen und vesperen unser Mitgebrachtes. Ich lasse es mir nicht nehmen und suche noch schnell das Gipfeldöschen, was bei den Anderen etwas Erstaunen auslöst, auch wenn sie, wie sie meinen von diesem Geokätsching auch schon gehört hätten.

Verblühte Anemonen?

Verblühte Anemonen?

Nach den obligaten Gipfelbildern steigen wir dann gemeinsam ab. Ich kam dem Wiesel kaum hinterher und auch der drahtige und grossgewachsene Junge vom Bodensee, dessen Namen ich vergessen habe, gibt gut Gas. Am Abzweiger unten verabschieden wir uns dann von den anderen Beiden und ich mache mich mit dem Grossgewachsenen an den Abstieg zum Rappensee. Am Anfang gibt es noch ein etwas heikles und sehr steiles Schneefeld zu bewältigen, der Rest ist dann easy und schon bald taucht vor uns der bekannte Rappensee mit der gleichnamigen Hütte auf. Aihh... hier ist zwar grösstenteils der Schnee weg, aber in den beiden Seen schwimmt immer noch Eis. Zum Baden lädt das nicht grade ein. Ich muss mich zünftig sputen, damit ich dem dünnbeinigen, durchtrainierten Jüngling nachkomme und bin ganz froh, in der Rappenseehütte kurz Pause machen zu können und zwei Schorle zu stürzen. Der aufmerksame Leser wird sich nun fragen, mit was ich das denn bezahlt habe, da ich ja meine letzten Euro heute Morgen fürs Frühstück ausgegeben hatte. Ganz einfach. Oben auf dem Hohen Licht diskutierten wir über die verschiedenen Gipfel und Touren die noch möglich wären und da zückte ich zur besseren Orientierung meine vor zwei Tagen neu gekaufte Karte. Als ich merkte, dass sie den beiden Allgäuern wohl mehr nützt, um ihre weitere Tour zu planen als mir, der nur noch zum Rappensee absteigen musste und dann den Wegweisern folgen konnte, wollte ich sie ihnen schenken. Das Angebot nahmen sie gerne an, wollten aber dafür etwas bezahlen und meinten, ich solle ihnen einen Preis nennen. Ich sagte dann: «Fünf Euro, dann kann ich mir auf der Rappenseehütte noch eine Schorle leisten». Sie gaben mir dann Zehn, weil niemand wechseln konnte und alle waren zufrieden. So reicht nun das Geld sogar für zwei Schorle und meine ausgetrocknete Kehle freut sich sehr darüber.

Auf dem hohen Licht

Auf dem hohen Licht - 2651 m

Der weitere Abstieg folgt dann breiten und viel begangenen Bergwegen. Ich staune nicht schlecht, wieviele Leute um diese Zeit noch am Aufsteigen sind. Aber die Rappenseehütte ist gross und bekannt und auf der Aufstiegsroute kommt man auch noch an der Enzianhütte vorbei, die für ihre sehr gute Küche bekannt ist und bestimmt auch noch einige Wanderer anlockt. Ich unterhalte mich beim Abstieg mit dem Grossen ganz gut. Ein interessanter Typ aus Friedrichshafen, der leidenschaftlicher Boulderer ist und immer wieder mal im Murgtal beim Walensee herumklettert. Das ist ja bei vielen Boulderern schon seit einigen Jahren ein ziemlich bekanntes Ziel. Auch wenn die Gehzeiten hier im Allgäu recht grosszügig bemessen sind, hätte ich alleine bestimmt mehr Zeit für den Abstieg gebraucht. Anstatt 2 3/4 Std. brauchen wir eine gute Stunde weniger, bis wir wieder unten in Einödsbach angekommen sind. Ich bin froh mein Radel hier stehen zu haben, denn ich bin ziemlich fertig. Und was mir auch Spass macht ist, dass ich mir mit den verbleibenden drei Euro auf der Terrasse hier in Einödsbach, nochmal eine kühle und wunderbare Johannesbeerschorle leisten kann, 10 Eurocent Trinkgeld inklusive ;-)

Nachdem ich dann noch ein paar eindrückliche Videos vom jungen Boulderer auf seinem Handy gesehen habe verabschieden wir uns. Er muss noch eine knappe halbe Stunde bis zum Parkplatz absteigen, wo er sein Auto abgestellt hat, denn nach Einödsbach darf man nur mit dem Rad hoch fahren. Todmüde setze ich mich auf meinen treuen Begleiter, der mich die letzten Wochen über 1500 Kilometer von Sylt bis hierhin gebracht hat und lasse mich den Berg runter rollen. Entspannend ist das bergabfahren aber nicht, weil meine Beine heftig schmerzen. Für einmal habe ich aber mehr als genug Zeit. Es ist erst vier Uhr. Auf dem Rückweg mache ich noch einen kurzen Abstecher zur Fellberg-Bahn und ein bisschen weiter unten im Tal halte ich für einen Augenschein noch kurz bei der Skiflugschanze an. Ich wusste gar nicht, dass es in Oberstdorf zwei Sprunganlagen gibt und war mir auch nicht bewusst, dass Skispringen und Skifliegen zwei unterschiedliche Sportarten sind und auf ganz unterschiedlichen Schanzen ausgetragen werden. Beim Skifliegen kann man Flüge bis fast 250 Meter hinlegen. Ich schaue mir das Ganze aber nur von unten an und bin trotz allem von der Wucht und Grösse dieser Anlage beeindruckt. Auf weitere Aktionen habe ich aber keine Lust mehr. Ich bin zu müde und pedale nach diesem kleinen Abstecher ganz gemütlich zurück nach Oberstdorf. Zuerst suche ich einen Bankomaten, um Geld zu holen und peile dann denselben Italiener von gestern an, weil ich zum einen Lust auf Pizza habe und zum anderen von gestern weiss, dass ich hier auch schon um diese Zeit was warmes zu Essen bekomme. Kurz nach fünf ist jetzt nicht gerade eine typische Essenszeit. Aus der Pizza wird dann wieder mal nichts, weil ich plötzlich Lust auf Spaghetti Carbonara bekomme. Mir ist klar, dass ich hier in Deutschland wahrscheinlich keine Original Carbonara bekomme, da schon auf der Karte steht, dass die Sauce mit Sahne verfeinert ist, was in eine echte Carbonara nicht rein gehört. Aber kein Problem, ich mag dieses Gericht mit und ohne Rahm, solange es gut gemacht ist und nach der Bolognese von gestern bin ich mir ziemlich sicher, dass mir hier auch die Carbonara schmeckt. Das Essen kommt schnell und ist gut und auch Käse gibt es wieder genug. Auf Bier hab ich noch keine Lust und geniesse so die inzwischen bald obligaten zwei grossen Apfelschorle. Die kullern bei den Temperaturen von ganz alleine den Hals runter. Den Tomatensalat hätte ich aber nicht bestellen müssen. Nicht weil er nicht schmeckt, sondern weil er nach den zwei Schorle und der nicht zu kleinen Portion Spaghetti einfach zu viel war. Ich esse ihn dann trotzdem ;-)

Nach dem Essen überkommt mich eine solche Müdigkeit, dass ich am liebsten gleich irgendwo in den Schatten liegen würde. Ich schlafe fast im Stehen ein. Ich hasse dieses Gefühl. Und da ich unterwegs nichts adäquates finde, radle ich zum Zeltplatz zurück, hole meine Matte aus dem Zelt und lege mich in den gerade gross genugen Schatten, den mein Zelt spendet. Was für ein herrliches Gefühl. Danach bin ich für eine Stunde oder mehr zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich weiss nicht ob ich geschlafen oder nur gedöst habe, aber aufstehen geht noch ein ganzes Weilchen nicht, bis sich mal meine Blase meldet und ich das Bedürfnis nach einer erfrischenden Dusche habe. Die bringt mir meine Lebensgeister dann langsam wieder zurück. Inzwischen hat sich neben mir ein Vater mit seiner vielleicht 14 jährigen Tochter zu installieren begonnen und wir kommen ins Gespräch. Natürlich wird man als Radler immer gefragt woher man kommt oder wohin man geht und als ich meine Geschichte erzähle, kommt von einem Mädchen, dass sich mit einer Freundin auch in der Nähe eingerichtet und unser Gespräch wohl mitgehört hat ein Zwischenruf, dass sie auch gerade von Kiel durch ganz Deutschland geradelt seien. Lustig. Ich unterhalte mich dann ein ganzes Weilchen mit dem Mann und später auch noch mit den beiden Mädels, die mir erzählen, dass sie gerade das Abi bestanden hätten und sich sehr spontan auf diese Reise begeben hätten. Ich staune nicht schlecht, als sie mir erzählen, dass sie von Kiel in nur zwei Wochen hierher geradelt waren. Chapeau. Als es eindunkelt, verziehe ich mich dann ins Zelt, um noch ein bisschen zu schreiben.

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