Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 22: Sonntag, 30. Juni 2019
Geklautes Vertrauen

Ellwangen - Stausee Rainer-Buch - Oberkochen - Königsbronn (Brenztopf) - Heidenheim - Langenau - Ulm
[Karte]

Radreise Teil 10 (Tage 21 und 22)

Tourischock in Rothenburg ob der Tauber. Weiterfahrt nach Ellwangen, Oberkochen und nach Ulm.

Ich wache das erste mal so gegen sechs Uhr auf, aber die Blutzirkulation ist noch nicht stark genug, das Hirn in Betrieb zu setzen und so fällt mein Körper gleich wieder in den Ruhezustand. Das selbe Spiel funktioniert dann aber um fünf nach acht nicht mehr, da ich mich etwas ärgere und jetzt schon weiss, dass ich vor zehn bestimmt nicht los komme. Gestern ist es spät geworden. Es war auf jeden Fall schon eins durch, bis ich mit Schreiben fertig war und mich schlafen gelet hatte. Neben dem Campingplatz lief irgendeine ziemlich nervige Party mit einem abscheulichen DJ, der von Heino über Malle-Mitbrüller bis Rammstein so alles auftischte was nervt und zu jedem Song gröhlten ein paar Leutchen schon Abends um neun kräftig mit. Der schönste Refrain war der folgende: «Wie heisst die Mutter von Nicki Lauda? --- Mama Lauda! Mama Lauda!». Ok, ich geb zu, ich brauchte ein Momentchen, bis ich den Refrain dieses geistreichen Liedes verstand. Dann sangen sie auch noch «Geh mal zwei Bier holen, du wirst schon wieder hässlich» und irgendwas hirnleeres von Jonny Depp. Die Dudelei und das Gekreische ging laut Zeltnachbar wohl bis halb drei! Ich war zum Glück müde genug und konnte es gut ignorieren. Das Zelt ist heute mal wieder triefend nass und benötigt viel Liebe und Zuwendung unter zuhilfenahme von Lumpen und Handtuch, damit es vor der Weiterfahrt trocknen kann.

Zum Frühstück gibts heute wieder mein Standard Menu. Die beiden holländischen Radfahrer, die sich neben mir niedergelassen hatten sind unterwegs nach Rom. Auch nicht schlecht. Bei mir dauert das Packen heute wegen der Trocknerei wieder mal etwas länger. Als ich parat zum abfahren bin, möchte ich in der Dusche noch meine Ladegeräte für Powerbanks und Akkus holen, die ich gestern Abend zum Laden dort eingesteckt hatte. Auf der Zeltwiese hat man in der Regel keine Stromanschlüsse und bisher behalf ich mir immer, mit den Steckdosen an den Waschplätzen, um meine Powerbanks und die anderen Sachen zu laden. Foto und Handy liess ich aber immer im Zelt. Das sind dann doch etwas zu teure Geräte um sie unbeaufsichtig herumliegen zu lassen. Ich staune nicht schlecht, als das alles nicht mehr da ist und habe die Verwaltung im Verdacht, weil ich denke, dass sie es vielleicht nicht gerne sehen, wenn jemand die Steckdosen für die Rasierapparate zum Laden seiner Geräte missbraucht. Als ich zahlen gehe, meint die Dame an der Reception aber nur, dass sie weder etwas weggenommen, noch gesehen hätte. Aber sie würde sich melden, falls jemand etwas zurückbringen würde. Ich bin ziemlich genervt. Die Camper-Gemeinde ist ja ein recht nettes Völkchen. Da hats zwar auch viele komische Vögel darunter, aber sie sind eigentlich immer freundlich und hilfsbereit. Ist halt doch so ne kleine verschworene Gemeinschaft. Ich frag mich schon, welcher Idiot ein Ladegerät und vier AA-Akkus klaut. Aber aufregen hilft ja nix. Dumm natürlich, dass es grade an einem Sonntag passiert, wo kein Geschäft offen hat, wo ich mir Ersatz kaufen könnte. Zudem ist mein USB-Ladegerät ein Teil, dass ich mir erst kürzlich gekauft habe und nach langer Suche, genau das tut und kann, was ich will. Deshalb möchte ich auch wieder das gleiche Teil nachkaufen und nicht irgendein Billigprodukt beim Elektrohändler auf gut Glück holen. Das zweite Gerät das mir geklaut wurde, ist ein Ladedingens für meine AA-Akkus, welches ich an der Powerbank einstecken kann, also auch unterwegs zur Not meine AA-Akus fürs GPS immer nachladen kann. Mir wurden also zwei Geräte entwendet, die ich nicht einfach so schnell schnell bei Mediamarkt wieder nachkaufen kann.

Stage 20

Stage 20

So ist mein Morgen also ziemlich unerfreulich, aber es hilft ja nichts. Die Reise geht weiter. Wenigstens muss ich nicht nach Ellwangen zurück, um mir die Stadt noch anzuschauen. Der Sneak Peak gestern hatte mich jetzt nicht aus den Schuhen gehauen und die Fürstpropstei, die auf dem Berg über Ellwangen thront und sicher einen Besuch wert gewesen wäre, war mir zu weit und zu zeitaufwändig. So mache ich mich also auf und folge weiter meiner roten Linie. Inzwischen bin ich wieder auf meiner ursprünglich geplanten Route. Schon kurz nach dem Start geht es wieder schön über Land. Einen kleinen Abstecher um die Zahlen für Stage Nummer 20 zu sammeln, ist dann kaum der Rede wert. Etwas später komme ich an einem riesigen Parkplatz vorbei und aus dem Nichts strömen plötzlich Menschenmassen umher. Ein Schild wo irgendwas von Erholungszone drauf steht, verwirrt mich mehr, als es mir hilft, denn aus der Erhohlungszone tönt ziemlich laut Musik zu mir herüber. Es klingt nach Livemukke. Als ich ein paar Meter weiter fahre, sehe ich dann was es damit auf sich hat. Ich bin am Stausee Reinach Buch gelandet, wo eine grosse Badeanstalt mit Kiosk und Liegewiese ist.

Ich lass diese Szenerie gerne hinter mir und schon bald wirds wieder ruhig. Heute sind deutlich mehr Radfahrer unterwegs, als die letzten Tage. Man merkt, es ist Sonntag. Kurze Zeit später gehts unter der Autobahn durch und dann schlägt die Route einen Haken und es geht ziemlich bergauf. Der Fahrradweg hat wieder mal eine sehr originelle Streckenführung. Einige wilde Richtungsänderungen und unnötig grosse Bögen macht der Weg und schlängelt sich so wild durch die Landschaft. Ein paar fiese kleine Steigungen lassen den Puls mal kurz hochschnellen, nur um direkt am höchsten Punkt die gemachten Höhenmeter gleich wieder zu vernichten. Die Gegend ist herrlich, das entschädigt die Strapazen und da ich unterwegs, wenn ich mich mit Leuten unterhalte immer allen erzähle, dass ich aus der Schweiz komme und es lieber hügelig mag, als nur öde gradeaus, darf ich hier natürlich auch nicht meckern. Muss ich aber auch nicht, denn die Steigungen plagen mich nicht allzu sehr. Natürlich geht der Puls bei über 10% zünftig hoch und der Schweiss läuft schnell wieder in Strömen, aber die Beine sind ok und ich erhole mich nach der Anstrengung inzwischen sehr schnell wieder. Da ist mein Hintern, auch wenns dem eigentlich ganz gut geht, das grössere Problem. Es gibt immer wieder Tage, wo es wirklich unangenehm und schmerzhaft wird und ich Mühe habe, eine Sitzposition zu finden, die noch angenehm ist. Ich habe aber immer mal wieder mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Das passierte mir bis jetzt vielleicht zwei oder drei mal und ich kann auch nicht immer nachvollziehen weshalb ich einen Durchhänger habe, aber heute ist mal wieder so ein Tag, wo ich nicht so richtig in die Gänge komme. Wobei der heutige Tag auch wieder extrem heiss ist. Dass das nicht spurlos an einem vorüber geht ist klar, aber am Morgen ists ja meistens noch erträglich. Seis drum, bis jetzt verflogen diese Startschwierigkeiten meist nach einer halben Stunde oder Stunde wieder.

Schönes Eselburger Tal an der Brenz

Schönes Eselburger Tal an der Brenz

Meine beiden Wasserflaschen sind bei der Hitze bald mal leer und ich lechze nach einer Kneipe oder irgendwas, wo ich mir was Kühles kaufen kann. Zuerst gehts aber nochmal ein ganzes Stück bergauf. Der höchste Punkt liegt heute auf ca. 650 m.ü.M. Im schattigen Wald habe ich Mühe, die rote Linie auf dem GPS zu sehen und muss vor einem Abzweiger kurz anhalten, weil ich nicht sicher bin, ob mein Weg nun links oder rechts weiter geht. Als ich nach drei Wochen auf die Idee komme, die Farbe der Linie auf Schwarz zu ändern, bin ich ganz überrascht, wie klar sich meine Wegführung nun vom Hintergrund abhebt. Bis zum Ende der Tour werde ich wohl keine Mühe mehr haben, meinem Track zu folgen, wenn das Licht nicht optiomal ist. Also rechts gehts weiter, was bedeutet, dass der letzte Aufstieg von über hundert Höhenmetern auch hier wieder völlig unnütz war und mit sofortiger Wirkung wieder vernichtet wird. Als ich in Oberkochen ankomme, ist es schon fast wieder eins und ich habe langsam Hunger. Die Stadt ist von den Zeiss Werken geprägt, die hier an mehreren Standorten übers ganze Dorf verteilt grosse Fabrik- und Verwaltungsgebäude haben. Ich dachte immer dass Zeiss aus der ehemaligen DDR käme, aber da habe ich mich wohl getäuscht oder das mit einer anderen bekannte Marke verwechselt. Anyway... im Dorf ist absolut tote Hose. Kein Biergarten, keine Kneipe, wo irgend jemand draussen sitzt. Die Erlösung kommt, als ich einen Wegweiser zu einer Pizzeria entdecke. Ich pedale eine Querstrasse den Berg hoch und hoffe, dass ich hier was zu essen und zu trinken bekomme. Ich freue mich, als ich sehe dass Leute draussen unter Sonnenschirmen sitzen und setze mich auch an einen Tisch im Schatten. Endlich komme ich zu meiner langersehnten Pizza, nach der es mich schon so lange gelüstest. Ich lasse mir viel Zeit und schlage mir den Magen vorab mit zwei grossen Johannesbeerschorle voll. Es ist wieder richtig heiss geworden, was einen zusätzlich träge macht. Nach dem Essen fahr ich weiter und freue mich, als ich an einer Tanke vorbeikomme, der ein Getränkemarkt angeschlossen ist und sogar am heutigen Sonntag geöffnet hat. Ich kann die schwere Bierflasche und die angesammelten Petflaschen endlich entsorgen und bin froh, dass es in der Tasche wieder Platz gibt. Trotz vollem Bauch hab ich schon wieder Durst und schütte mir noch ein San Pellegrino Arancha rein.

Infotafel Brenztopf

Infotafel Brenztopf

Ich bin nun im schönen Brenztal und nach kurzer Fahrt komme ich durch Königsbronn, wo mir ein Bach und ein paar sehr schöne Gebäude ins Auge springen. An solchen Orten muss ich dann einfach kurz anhalten und mich umschauen. Dieser Stopp hat sich aber ganz besonder gelohnt. Ich bin an der Quelle der Brenz gelandet. Hinter dem Haus befindet sich der Brenztopf. Eine riesige Karstquelle wo das Wasser unterirdisch aus dem Berg in ein rundes grosses Naturbecken austritt. Aus dem Brenztopf fliesst das Wasser dann direkt in den kanalisierten Bach wo sich unmittelbar noch eine kleine Kneippanlage befindet. Das Wasser hat gemäss Infotafel Jahrein/Jahraus dieselbe Temperatur: 7 °C!! Ein Temperaturunterschied von knackigen 30° C. Natürlich ziehe ich meine Schuhe und Socken aus und wage mich ins knietiefe Wasser und drehe eine Runde im kneippschen Entengang. Die Abkühlung tut tierisch gut, aber die Runde ums Geländer herum ist relativ lang und das Wasser ist so eiskalt, dass die Beine schon auf halber Distanz zu kribbeln und schmerzen anfangen. Ich schlüpfe nach dem Kneippgang gleich mit den nassen Füssen in die Socken und hoffe, dass dies die Kühlung noch etwas verlängert. Für ein Momentchen fühl ich mich dann echt erfrischt, aber bei dieser Hitze hält dieses gut Gefühl grade mal ein paar Minuten an.

Lonetal

Lonetal

Der nächste Streckenabschnitt ist dann nicht sehr spektakulär und ein kurzer Abstecher nach Heidenheim haut mich auch nicht vom Hocker. Was ich nicht wusste ist, dass Heidenheim eine so grosse Industrie hat. Voith ist allgegenwärtig und ist mir bekannt als Hersteller von grossen Papiermaschinen. Inzwischen ist die Firma aber noch in vielen anderen Bereichen tätig. Bis es nach Heidenheim dann wieder gemütlicher und ruhiger wird, strample ich doch etliche Kilometer auf belanglosen Strassen ab. Mein Durst ist wieder gross und als der Weg ins schöne Eselburger Tal abzweigt, sehe ich ein Schild das Werbung für die Talschenke macht, bei der ich nach ca. 5 Kilometer vorbei kommen sollte, falls mein Weg dann auch wirklich dorthin führt. Am Ausgang des Tales entdecke ich dann tatsächlich eine sehr gut besuchte und grosse Gartenwirtschaft. Der grossteil der Besucher ist wohl mit Gummiböötchen und Kanus auf der Brenz durchs Eselburger Tal geschippert. Die Gegend hier ist sehr beschaulich und ein paar interessante Felsformationen säumen dieses liebliche und ruhige Tal. Die Hitze zollt mal wieder ihren Triubut. Ich bin müde und unheimlich durstig und kippe drei grosse Schorle runter. Vor der Weiterfahrt füllt mir dann der nette Mann hinter der Theke noch beiden Wasserflaschen mit kühlem Trinkwasser auf. Nach kurzem und heftigen Aufstieg führt der Radweg dann weiter der Lone entlang. Ich fahre durch ein etwas breiteres aber ebenso ruhiges und schönes Tal. Ich bin entzückt und für einen kurzen Moment nach dieser halbstündigen Pause, auch wieder vom Durst befreit. Bis Ulm ist es nun nicht mehr weit. Deshalb wollte ich mich vorhin in der Schenke noch um die nächste Übernachtung kümmern, aber das Mobilnetz reichte im Eselburger Tal nicht fürs Internet. Das hole ich nun in Langenau bei einem Eis in der Eisdiele nach und entscheide mich mal wieder für ein Hotel, weil mir die Campingplätze zu weit vom Stadtzentrum weg sind. Ich finde ein günstiges Zimmer im Centro Hotel Stern, in der Nähe des Münsters und nicht weit vom Bahnhof. Von Langenau gehts dann plötzlich ratzfatz. Für einmal schlägt der Radweg keine unnötigen Kehren, sondern führt direkt der Donau entlang nach Ulm. Ich habe keinen Gegenwind und keine fiesen Steigungen und bin deshalb nach einer guten halben Stunde nach rasanter Fahrt schon um viertel nach acht im Hotel. Dort setzte ich mich dann einfach mal für eine halbe Stunde auf die Bettkante und zappe recht unmotiviert durchs TV-Programm. Ich bin etwas lethargisch und müde. Nach diesem kurzen Timeout stelle ich mich unter die Dusche und gehe für einen kleinen Spaziergang nochmal raus. Im Zimmer ist es kaum auszuhalten, so heiss ist es. Als ich von meinem kleinen Stadtrundgang, der mich durch ein paar Gassen zum Münster geführt hat, wieder ins Zimmer zurück komme, hat sich die Temperatur nicht merklich geändert, obwohl alle Fenster sperrangelweit offen waren. Der Schweiss läuft, ohne dass ich mich bewege. Zum Einschlafen muss ich dann mein kleines Camping-Kopfkissen hervorkramen. Das Teil im Bett ist viel zu gross und synthetisch und heizt gleich noch mehr, wenn man darauf liegt. Nachdem ich dann die Bettdecke und das Kopfkissen aus dem Bett geschmissen habe, wälze ich mich noch ein ganzes Weilchen, bis ich in dieser stehenden Hitze dann doch noch einschlafe.

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