Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 21: Samstag, 29. Juni 2019
Tourischock

Derwang - Rothenburg ob der Tauber - Leuzenbronn - Kirchberg an der Jagst - Crailsheim - Ellwangen
[Karte]

Radreise Teil 10 (Tage 21 und 22)

Tourischock in Rothenburg ob der Tauber. Weiterfahrt nach Ellwangen, Oberkochen und nach Ulm.

Kurz nach sieben stehe ich auf. Wasser tropft auf mein Innenzelt. Hier im Taubertal wurde es in der Nacht richtig kühl und das Innere des Aussenzelts ist vom Tau und Kondenswasser plitschnass. Man hatte es schon gestern beim Eindunkeln gemerkt, dass das eine feuchte Nacht werden könnte, so schnell wie das Gras Tau ansetzte und nass wurde. Wenn es richtig feucht wird, nützen auch die Lüftungsschlitze, die ich in meinem Zeltdach öffnen kann nichts. Ich glaube, das tun sie auch bei wenig Feuchtigkeit nicht ;-) Nach einer solchen Nacht, ist das Zusammenräumen immer etwas mühsamer. Ich reibe das Aussenzelt auf beiden Seiten mit meinem Zelttuch so gut wie möglich trocken. Heute kann ich nach jedem zweiten Wisch das Tuch wieder auswringen. Verrückt, wieviel Wasser sich da angesammelt hat. Nach dem abwischen richte ich das Zelt schön aus und lasse es in der Sonne trocknen. So viel Feuchtigkeit hatte sich in meinem ganzen Urlaub noch nicht angesetzt. Zum Glück scheint die Sonne schon früh auf meinen Platz und so bekomme ich das Zelt dann doch noch anständig trocken. Heute gibts auch mal wieder selbstgemachtes Frühstück. Der frische Kaffee vom Trangia-Kocher schmeckt einfach köstlich. Windschutz und Fuss sehen aber schon ganz schön lädiert und gebraucht aus. Woher all die Beulen sind, weiss ich echt nicht, aber bei den dünnen Aluteilen verwundert das auch nicht gross. Dafür ist das Ganze so schön kompakt und leicht. Auf jeden Fall verrichtet dieser Kocher perfekte Dienste. Der Kaffee aus meiner kleinen Bialetti dauert keine fünf Minuten bis er fertig ist. Etwas nervig ist einzig, dass Spiritus ziemlich stark russt und man das ganze Zeug immer zünftig schrubben muss, wenn man nicht beim nächsten Anfassen gleich wieder schwarze Hände bekommen will. Aber ich möchte nicht auf Gas zurück. Das Gefrickel mit den Gaskartuschen nervt mich und der Lärm des Kochers auch. Trangia ist geil und das ganze Konzept aus Brenner, Windschutz, Fuss, Töpfen und Pfanne ist einfach genial. Ich habe auf jeden Fall Spass damit und konnte bis jetzt alles kochen was ich wollte. Zudem gibts in jedem Supermarkt Brennsprit zum nachkaufen. Gaskartuschen bekommt man zwar auch auf jedem Campingplatz, wenn man aber mal autark unterwegs ist und nur in Supermärkten einkaufen kann, dürfte das nicht mehr so einfach sein. Zudem kann ich immer in die Spiritusflasche schauen, um zu sehen, wieviel Brennstoff noch da ist. Mit der Zeit, weiss man dann auch ungefähr, wieviel Sprit man zum kochen braucht. Bei den geschlossenen Gaskartuschen ist das immer etwas schwieriger herauszufinden, wie lange das Gas noch reicht.

Beim Marktplatz

Beim Marktplatz

Um 9:20 bin ich dann fertig und fahre nochmal nach Rothenburg hinauf. Die weit herum bekannte Altstadt möchte ich mir nochmal genauer anschauen. Deshalb bin ich auch von meiner geplanten Route abgewichen. Vom gestrigen Einkaufs- und Abendessen-Abstecher, kenne ich schon den Weg zum Marktplatz. Ich steuere ihn ziemlich direkt an und erschrecke schon eine Hausecke bevor ich auf den Platz trete, als plötzlich nur noch Asiaten und Amerikaner um mich herum wuseln. Viele sind zu allem Übefluss auch noch in Einheits-T-Shirts gekleidet. Amis wie Asiaten. In dieser Stadt muss es wohl hunderte von Stadtführern geben. Unglaublich, wieviele Gruppen hier unterwegs sind. Uff... was ist denn hier los? Gestern Abend sah das etwas ausserhalb des Zentrums noch so schön relaxt aus. Zum Glück verhalten sich die Touris hier schön nach Muster A: Immer brav dem Führer folgen und sich auf keinen Fall zu weit von der Gruppe und den Hauptattraktionen entfernen. So wird das völlig überrannte Städtchen gleich etwas erträglicher, wenn man sich in eine Seitengasse flüchtet. Natürlich gibts da dann auch nicht mehr all die Krimskrams Shops. Am schlimmsten ist der Weihnachtsladen, welcher die ganzen Erzgebirge Holzsachen anbietet. Das sind vor allem Drehkripplein und die Räuchermännchen. Drehkrippen find ich ja ganz nett. Die erinnern mich an meine Kindheit. Wir hatten früher an Weihnachten auch immer eine aufgestellt und ich war sehr davon fasziniert, dass sich das Kripplein nur wegen der brennenden Kerzen endlos im Kreis drehte.

So schlimm, dass ich es schon wieder lustig finde, sind die unsäglichen Touristenshops. Hier gibts einfach alles zu kaufen, was irgendwie und irgendwo mit Deutschland in Verbindung gebracht werden kann. Natürlich den ganzen Erzgebirge Klimbim, dann Nussknacker in allen Grössen und weitere Holzfiguren und -figürchen in endlosen Varianten. Dann unendlich viele, unendlich hässliche Bier-Humpen und Biergläser mit den unendlich hässlichen «aufgebügelten» Fotomotiven und natürlich auch Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald. Ich amüsiere mich köstlich, als ich ein Verkaufsgespräch belausche, wo eine Verkäuferin eine Gruppe Chinesen berät. Eine Dame möchte eine Uhr für ihren Grossvater kaufen. Nun werden die Vor- und Nachteile von batteriebetriebenen oder mechanischen Uhren aufgezählt. Dass man Uhren die mit Gewichten laufen täglich aufziehen muss, scheinen die Chinesen, so wie sie drein schauen nicht zu verstehen. So werden nun die Argumente der batteriebetriebenen Uhren abgefeuert. Die Verkäuferin erklärt, dass diese Modelle nicht aufgezogen werden müssen und gleich mehere Wochen laufen. Die Asiaten nicken synchron und freundlich lächelnd der Verkäuferin zu. «Man kann sie auch überall aufhängen, da keine langen Gewichte stören, die bis zum Boden reichen». Zu guter letzt wird das Killerargument noch nachgereicht: «Beim batteriebetriebenen Modell können Sie, meine lieben chinesischen Gäste, die Kuckucksmelodien gleich selber wählen und einstellen». Wieder nickt die ganze Ecke freudig der Verkäuferin zu. Augenverdrehend verlasse ich dann diesen Spielplatz und trete hinaus auf die Strasse, wo ich gleich von der nächsten wild fotografierenden Touristengruppe überrannt werde. Jetzt wo ich das niederschreibe hätte ich trotzdem gerne gewusst, was am Schluss gekauft wurde und welches Argument dann schlussendlich zum Kaufentscheid geführt hat.

Stadtmauer in Rotenburg

Stadtmauer in Rotenburg

Meine Gedanken schwanken zwischen Flucht aus der Stadt, um diesem Irrsinn zu entkommen und naiver Neugier. Das Fiese ist, dass Rothenburg wirklich sehr hübsch ist und es viele nette Ecken zu entdecken gibt. Natürlich gewinnt trotz meiner Abneigung gegen diesen Touristen-Horror am Ende meine Neugier und so bin ich dann auch nich viel besser als der gemeine Tourist, der sich hier durch das überfüllte Städtchen drängelt. Die Guids der verschiednen Grüppchen bleiben an den fotogensten Orten immer brav stehen und erklären ihren mitlaufenden Lemmingen auch immer gleich noch, wie man das Motiv am besten ins Bild setzt. Herrlich! Ich entferne mich etwas vom Hauptstrom und spaziere durch eine ruhigere Gasse, die mich zur alten Stadtmauer bringt, die man begehen kann. Einer der Türme beherbergt eine kleine Ausstellung und kann für zwei Euro bestiegen werden. Von hier hat man eine schöne Aussicht auf die Dächer der Stadt. Ich bin ganz überrascht, als ich alte Schwarzweiss-Aufnahmen sehe, auf denen Rothenburg völlig zerbombt gezeigt wird. Drei Wochen vor Kriegsende wurde fast die Hälfte der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Es steht geschrieben, dass an diesem Tag wegen Nebel, das eigentliche Ziel, ein Öllager, von den Alliierten nicht angegriffen werden konnte und deshalb Rothenburg, auch wenn es keine militärische Bedeutung hatte, als Ersatzziel gewählt wurde. Der grösste Schaden entstand aber im neueren Teil der Stadt und viele der bedeutenden Baudenkmäler blieben erhalten. Ob es wirklich Absicht war, oder «nur» ein Versehen, wegen des Nebels, scheint bis heute nicht wirklich geklärt zu sein. Vielleicht war es auch nur eine Vergeltungsaktion, da die Nazis auch sehr oft wichtige Kulturgüter ihrer Gegner im zweiten Weltkrieg sinnlos zerstört hatten. Goebbels soll dafür sogar ein Wort kreiert haben. Fällt mir aber nicht mehr ein. Tja, somit sind viele Teile von Rothenburg gar nicht so alt, wie sie scheinen. Die Stadt wurde nach dem Krieg sehr schnell wieder aufgebaut und die Amerikaner unterstützten den Wiederaufbau tatkräftig. Schlussendlich verbrachte ich dann doch ein paar Stündchen in dem Städtchen, weil es trotz allem sehr faszinierend ist.

Topplerschlösschen

Topplerschlösschen

So gegen 13 Uhr fahre wieder ins Tal hinunter und muss erst mal meine heutige Etappe checken, da ich eine andere Strecke fahren möchte, als ursprünglich geplant. Das braucht nochmal etwas Zeit und als die Route klar ist und ich los fahre, verpasse ich prompt den Abzweiger. Dafür werde ich mit einem tollen Ausblick aus dem Tal hinauf zur Stadtmauer belohnt und komme noch an einer schönen Mühle und dem Topplerschlösschen vorbei. So wird es 14 Uhr, bis ich meine Tour dann endlich fortsetzen kann. Uff... nun muss ich aber Gas geben. Ich möchte heute bis Ellwangen fahren, könnte aber auch in Crailsheim übernachten, aber das ist mir dann doch etwas zu wenig Strecke. Mal schauen, wie ich vorwärts komme. Zurück beim verpassten Abzweiger, der nur ein paar hundert Meter nach dem Campingplatz gekommen wäre, geht es ein kaum befahrenes Nebensträsschen, durch ein schönes Waldstück hinaus aus dem Taubertal. Die Kühle des Waldes macht den Aufstieg etwas angenehmer. Man überwindet am Ende etwa 150 Höhenmeter und landet wieder auf einer weiten Ebene. Landschaftlich sehr ähnlich wie gestern und schön zu fahren. Der Radweg führt oft über kleine und sehr ruhige Nebensträsschen. Ich komme ganz gut voran, aber die Zeit rennt, vor allem, wenn man erst um zwei Uhr los fährt. Auf der heutigen Etappe mache ich nur noch einen kleinen und kurzen Abstecher nach Kirchberg. Ein Ort mit einem Schloss, der auf einem markanten Felsband thront und von unten mein Interesse weckt. Um einen Augenschein zu erhaschen nehme ich die zusätzlichen Höhenmeter zum Städtchen in Angriff und drehe eine kleine Runde. Am Ende des Örtchens kommt man durch einen Torbogen in die Schlossanlage, die heute unter anderem auch ein Biohotel beherbergt. Es ist alles recht hübsch herausgeputzt, aber mir reicht das, was ich beim vorbeiradeln sehe und kehre nach diesem kleinen Abstecher wieder auf meine Route zurück. Kurz vor Kirchberg bin ich endlich mal wieder an einem Edeka vorbeigekommen. Das ist und bleibt einfach mit Abstand die beste Supermarktkette in Deutschland. Ich kaufe mir was zum vespern und ein kühles Bier. Bis ich nach dem Kauf ein schattigs Bänklein finde, vergeht vielleicht eine knappe halbe Stunde. Das genügt um das kühle Bier in lauwarme Plörre zu verwandeln. Ich mache nicht lange Halt. Brötchen essen, Bier leer trinken, aufgeweichten Twixriegel als Dessert und Zuckerbombe hinterher schieben und weiter.

Unterwegs nach Kirchberg

Unterwegs nach Kirchberg

Es ist bereits wieder 17 Uhr durch und ich bin noch nicht mal in Crailsheim. Da fehlen noch ein paar Kilometer. Trotz allem lasse ich es mir nicht nehmen, als ich an einem Wegweiser vorbeikomme, der nur gerade 0,4 Kilometer zum Stadtzentrum anzeigt, dort schnell vorbei zu schauen. Also kurz den Schwenk und schnell wieder raus. Das war jetzt aber gar nichts besonderes, also schnell weiter. Nach Ellwangen sind es noch 27 Kilometer. Das sollte mit Glück bis 20 Uhr zu schaffen sein. Der Weg ein paar Kilometer vor Crailsheim, war schon recht belanglos, aber da habe ich wohl den schönen Radweg mal irgendwo verlassen, ohne es zu merken. Nach Crailsheim muss ich mich dann nochmal gut zehn Kilometer lang gedulden, bis die Route wieder durch eine nette Landschaft, abseits der grossen Strassen führt. Die Beine sind noch ganz ok, aber der Durst ist wieder gross. Wie ich schon geschrieben habe, hilft das aufgeheizte Wasser oft nicht mehr den Durst zu löschen und ich hoffe noch irgendwo an einem Supermarkt vorbeizukommen. Dieser Wunsch wird mir aber heute nicht erfüllt und so halte ich mich mit dem warmen Wasser aus den Trinkflaschen am Leben. Um fünf nach acht erreiche ich dann Ellwangen und fahre schnell ins Zentrum, um irgendwo ein kaltes Schorle zu kaufen. Am Bahnhof ist alles zu. Da könnten sich die Deutschen mal was bei uns Schweizern abgucken. Die Bahnhöfe sind hier oft furchtbar elende Orte, wo man sich nicht wirklich aufhalten möchte. Oft heruntergekommen und schmuddlig. In der Schweiz, in einer Stadt dieser Grösse ist so etwas unvorstellbar. Da gibt es heute überall einen sauberen, einladenden Shop, der fast überall bis 22 Uhr, in grösseren Städten auch bis 23 Uhr geöffnet hat. So fahre ich noch ein Stückchen weiter und finde im etwas belanglosen Zentrum einen griechischen Schnellimbiss, wo ich gekühlte Getränke bekomme. Die erste Halbliter-Flasche Schorle leere ich in einem Zug. Hmmm... tut das gut. Schon auf dem Weg ins Stadtzentrum, hatte ich einen Wegweiser zum Campingplatz gesehen. Ich fahre dorthin zurück und folge der Beschilderung. Kurz vor halb neun erreiche ich dann meinen heutigen Schlafplatz.

Die Anmeldung ist bereits geschlossen, aber auf einem Zettel steht, dass man sich einen Platz suchen kann und den Rest dann am nächsten Tag erledigen soll. Passt! Ich suche mir eine schöne Stelle, gehe duschen und wasche noch einen ganzen Packen Wäsche, als ich das grosse Handwaschbecken im Raum mit der Waschmaschine sehe. Erschreckend was da schon beim Vorspülen aus meinen Kleidern für ein Dreck raus kommt. Ein zweiter Vorwaschgang scheint deshalb angebracht. Danach kommt dann der Hauptwaschgang mit Rei aus der Tube für Sauberkeit und frischen Duft zum Einsatz. Trocknen wird das Zeug bis morgen früh natürlich nicht, aber ich habe ja noch Shorts und andere Shirts dabei und lass den Rest dann einfach im Fahrtwind trocknen. Passt schon. Zum Abendessen brauch ich auch nichts mehr Grosses. Ich hatte noch eine Banane und zwei Aprikosen gekauft. Mehr als zwei, drei Stunden kann man die eh nicht in den Satteltaschen haben, sonst sind die Matsch. Mein Hunger ist eh nicht gross. Zum einen hab ich ja erst um fünf zu Mittag gegessen und mir vorhin in Crailsheim über einen Liter Schorle reingeschüttet. Zum anderen war der Wurstsalat, den ich mir bei Edeka an der Wursttheke geholt hatte ein Teil bei dem der Majo-Anteil im Vergleich zur Wurst bei etwa 2:1 lag. Ich mag die Dinger ja ganz gerne, aber hier war das mit der Mayo-Sauce dann doch eine Nummer zu deftig. So genügen mir dann die Vitaminbomben und ich geniesse das gesunde und leichte Abendessen vor meinem Zelt.

So und nun noch ein bisschen Tagebuch schreiben. Auf dem Campingplatz hier gibts kein Restaurant und auch sonst ist ziemlich tote Hose. Als ich den Deckel zuklappe, bin ich mit der Schreiberei tatsächlich mal wieder ajour. Was für eine Freude. Auch wenn ich kaum mehr sitzen kann, denn die Sitzgelegenheit die ich hier vor dem Zelt habe ist ein ca. 20 cm hoher Baumstrunk. Der Arsch tut weh und Rücken hab ich auch. Also ab ins Zelt und in den Schlafsack kuscheln. Es ist wieder recht kühl geworden. Ich möchte mir vor dem Schlafen gehen noch kurz die Route von morgen anschauen, damit ich dann nicht ganz so planlos meiner roten Linie nachfahren muss.

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