Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 14: Samstag, 22. Juni 2019
Der Osten ruft

Northeim - Göttingen - Heilbad Heiligenstadt - Dingelstädt - Mühlhausen
[Karte]

Radreise Teil 6 (Tage 13 und 14)

Herrliche Landschaften führen mich durch Niedersachsen, mit kurzen Stopps beim Kloster Lamspringe, in Einbeck, Northeim und Göttingen. Dann gehts nach Thüringen weiter bis Mühlhausen.

Ich werde früh wach und habe trotz Dauerbeschallung von der nahe liegenden Autobahn, gut geschlafen. Die ist zwar 700 Meter Luftlinie von hier entfernt, ich hatte aber in der Nacht das Gefühl, dass die gleich um die Ecke ist. Wahrscheinlich ist die Lärmbelästigung aber auch stark von der Windrichtung abhängig. Ich bin trotzdem froh, dass ich wegen des Autobahnlärms hier nur eine Nacht verweilen muss. Die Temperaturen sind ziemlich frisch, aber mit einer Jacke lässt es sich draussen prima Früstücken. Gleich neben meinem Zelt steht ein kleiner Tisch mit Bank, wo ich mich gemütlich einrichten kann. Danach wird gepackt und es geht wieder auf Tour.

Natürlich mache ich zuerst einen kleinen Abstecher nach Northeim. Mich erwartet ein wunderbares Stadtzentrum, mit schönen alten Bauten, wo ich zuerst über den Markt schlendere. Der Ort strahlt an diesem Morgen eine wohltuende Ruhe aus. Die Temperaturen sind angenehm und die Menschen denen ich hier auf dem Markt begegne wirken alle sehr entspannt. Die Athmosphäre ist völlig relaxed. Wunderbar. Nachdem ich den Markt durchschritten habe, treffe ich oben auf die Breite Straße, eine herausgeputzte Fussgängerzone mit schönen Hausfassaden und vielen Geschäften. Die Auslage einer Bäckerei/Konditorei mit Strassencafé lockt mich dann ins Geschäft. Ich bestelle mir zwei belegte Brote und bei den Kuchen kann ich mich kaum entscheiden. Die Auswahl ist zu gross und alles sieht so lecker aus. Ich entscheide mich dann für ein Schnittchen Johannesbeerkuchen mit Baiser, obwohl ich keine grossen Hoffnungen habe, dass dieses Teil die nächsten Kilometer auf dem Rad unbeschadet überstehen wird. Zum Glück hat der Zustand eines Gebäcks aber keinen Einfluss auf seinen Geschmack ;-)

Wer die Wahl hat hat die Qual

Wer die Wahl hat hat die Qual

Der weitere Weg führt mich dann durch ein grün leuchtendes Tal, vorbei an Korn und Maisfeldern. Ich folge immer noch der Leine und mein nächstes Ziel, wo ich kurz ausscheren möchte, ist Göttingen. Klingt in meinen Ohren irgendwie schwäbisch, ist es aber definitiv nicht ;-) Auf dem schönen Heide-Leinen Radweg, wo ich mich immer noch befinde läuft es sehr geschmeidig. Ich habe leichten Rückenwind und der Tacho zeigt um die 25 km/h, was ein gutes Tempo ist und mich schön vorwärts bringt. Bei Göttingen verlasse ich den Leine-Heide-Radweg und biege nach links Richtung Stadtzentrum ab. Zum ersten mal fahre ich hier auf einer «Rad-Autobahn». Göttingen als Universitätsstadt scheint voll auf den Fahrradverkehr zu setzen. Das merkt man auch daran, dass die Radwege sehr gut markiert sind und nicht wie in vielen anderen Städten, irgendwo einfach aufhören, wegen Platz- oder Geldmangel auf holprige und enge Gehwege geleitet werden, oder kaum bemerkbar die Strassenseite wechseln. Als ich die Fussgängerzone im Stadtzentrum erreiche bin ich gleich doppelt überrascht. Zum einen ist das Zentrum und die Fussgängerzone riesig und zum anderen ist hier die Hölle los. Kein Vergleich zu der gemütlichen Athmosphäre in Northeim heute Morgen. Hier scheint die ganze Stadt im Kaufrausch zu sein. Dennoch bietet Göttingen einiges. Die Altstadt gefällt mir gut, mit der Orientierung hapert es aber ein bisschen, denn im Gegensatz zu den vielen kleineren Städtchen, die ich bis jetzt unterwegs besucht hatte, gibt es hier nicht eine Hauptstrasse, von der ein paar Nebensträsschen abgehen, oder ein relativ überschaubarer Innenstadtkreis, den man beim zweiten Mal durchfahren gespeichert hat. Da ich heute relativ früh aufgestanden bin, meldet sich auch der Hunger etwas zeitiger als sonst und ich setze mich in einem kleinen Pärkchen vor der Uni auf eine Bank und vespere meine Brötchen.

Mohnblumen am Wegrand

Mohnblumen am Wegrand

Eine weitere witzige Geocache-Idee lockt mich hier in Göttingen zum Spiel. Es geht darum, einen Entflohenen einzufangen. Dazu muss man auf einer Website den aktuellen Standort des Geflüchteten abfragen. Im Listing des Caches erfährt man, dass der Täter ausschliesslich mit dem ÖV unterwegs ist und er jeweils fünf Minuten an einer Haltestelle verweilt. In den nächsten fünf Minuten bewegt sich der Täter dann mit dem ÖV in irgendeine Richtung, die man aber nicht weiss. Erst nach weiteren fünf Minuten bekommt man dann wieder den nächsten Standort angezeigt, wo er wieder für fünf Minuten erreichbar ist, usw. Man hat also genau fünf Minuten Zeit sich zu dieser Haltestelle zu begeben um ihn dann in einem Umkreis von 50 Metern von dieser zu fassen. Ich muss das Ganze zweimal lesen, bis ich die Regeln kapiert habe und die App verstehe. Danach nehme ich die Fährte auf. Der erste Standort zeigt eine Haltestelle an, die von meiner aktuellen Position über zwei Kilometer Luftlinie entfernt ist. Das ist in fünf Minuten nicht zu schaffen, aber ich kann mich schon mal etwas annähern. Tricky ist bei dieser Haltestelle, wo er sich gerade aufhält, dass sich hier gleich fünf Buslinien kreuzen. Der Täter kann sich also in verschiedenste Richtungen bewegen. Also keine Chance zu erraten wo er zehn Minuten später wieder auftaucht. Ich düse dann einfach mal an die letzte Station um zumindest in seine Nähe zu kommen und warte, bis die nächsten Infos in der App angezeigt werden. Erst dachte ich, fünf Minuten reichen dann locker, um an die nächste Station zu radeln. Aber als die Nächste Station dann angezeigt wird, muss ich die erst ins GPS eintippen und dorthin radeln. Dazu muss ich noch diesen 50 Meter Radius treffen. Da sind fünf Minuten dann plötzlich sehr schnell vorbei. Wenigstens ist die nächste Haltestelle dann nur noch von einer Buslinie bedient und ich weiss zumindest, dass er sich nun nur noch in zwei Richtungen bewegen kann. Gespannt warte ich auf den nächsten Standort und bin super parat. Koords eintippen, losradeln und möglichst schnell den Zielpunkt treffen. Ufff... diesmal klappts und ich bekomme in der App nun die Finalen Koordinaten angzeigt, wo ich nach der Dose suchen kann. Natürlich möchte ich diesen Found wie es sich gehört mit dem Eintrag im Logbuch abschliessen, bin aber ganz froh, dass die Dose nicht am anderen Ende der Stadt versteckt ist. Ein kleiner Umweg bringt mich dann noch zum Finale und mit einem lächeln schreibe ich meinen Nickname ins gefundene Logbuch.

Geschäftiges Treiben in Göttingen

Geschäftiges Treiben in Göttingen

Der Spass mit der Verbrecherjagd und das Sight Seeing nahmen mal wieder locker zwei Stunden in Anspruch, aber egal. Auch dieses kleine Spiel hat Spass gemacht und Göttingen ist auch eine Stadt, die sich wirklich anzusehen lohnt. Auch wenn ich bei vielen meiner Stippvisiten rechts und links meiner Route immer nur einen kleinen Eindruck der Orte bekomme und man natürlich viel mehr anschauen könnte, freue ich mich über diese kleinen Zusatzschlaufen und würde mich später bestimmt ärgern, wenn ich nicht wenigstens kurz vorbeigeschaut hätte.

Meine Tour führt dann weiter über Friedland, eine kleine Ortschaft, die zum Ende des zweiten Weltkrieges Bekannheit erreichte, weil hier die Flüchtlingsströme der Vertriebenen zusammenliefen. Ein grosses Denkmal, dass man bei der Einfahrt ins Dorf auf einer Anhöhe erkennen kann, erinnert daran. Ich mache kurz Halt und plane meinen weiteren Tourverlauf für diesen Tag. Es steht noch der Besuch von Martin und Familie in Mühlhausen an. Ich setze mich beim Fussballplatz unter eine schattige Kastanie und schaue auf dem Laptop, wie man dort am besten hinkommt. Ich sehe, dass ich dem Leine-Heide Radweg bis nach Heilbad Heiligenstadt weiter folgen kann. Meine geplante Route hätte diesen Radweg aber an diesem Ort verlassen. Danach kann ich auf den Unstrut Radweg wechseln und über Dingelstädt weiter nach Mühlhausen fahren. Auch wenn es mal wieder eine lange Etappe gibt, entscheide ich mich, die Sache durchzuziehen und noch heute bis Mühlhausen durchzuradeln. Unterwegs mache ich in Heilbad Heiligenstadt noch eine kurze Stippvisite und schaue mir den alten Stadtkern, der mal wieder entzückend ist an. Schade, dass hier viele Ladenlokale in der sonst so schön restaurierten Altstadt leer stehen und so die Szenerie etwas trostlos wirken lässt. Das Eis das ich mir in der kleinen Eisdiele im Zentrum hole ist nicht sonderlich gut. Das hat aber keinen Einfluss auf die positive Bertung, die ich dieser Stadt gebe.

Tor zur Freiheit, alter Grenzübergang Besenhausen

Tor zur Freiheit, alter Grenzübergang Besenhausen

Dummerweise bin ich in Heilbad Heiligenstadt etwas zu früh vom markierten Radweg abgebogen, als ich einen Weg in die Alstadt suchte. Ich muss ein Weilchen herumkurven, bis ich nach dem Kurzbesuch des historischen Zentrums den Anfang des Unstrut Radweges finde. Der führt Anfangs gut markiert durch ein breites Tal, das langsam ansteigt. Nach ein paar Kilometern finde ich dann am Ende einer Radspur plötzlich keine Markierungen mehr. Ich drehe nochmal um und fahre zum letzten Wegweiser zurück, um sicher zu gehen, dass ich keinen Abzweiger verpasst habe, kann aber nichts entdecken. Aufs GPS kann ich auch nicht zurück greifen, da diese Etappe nicht auf meiner ursprünglich geplanten Route liegt. Es stört mich nicht gross, denn die Nebenstrasse ist nicht sehr befahren und ich möchte gerne vor 21 Uhr bei Martin ankommen. Die Strasse steigt ständig an und am Ende hab ich dann sogar die 500 Höhenmeter geknackt. So hoch war ich seit meiner Abreise in Bonstetten nicht mehr ;-) Der Radweg ist hier sehr schlecht markiert und immer wieder habe ich das Gefühl, dass ich nicht mehr richtig bin, aber es taucht dann trotz allem immer wieder mal ein Täfelchen auf und ich lande tatsächlich in der letzten grösseren Ortschaft vor Mühlhausen, in Dingelstädt. Von hier sind es noch 22 km bis Mühlhausen und die Strecke führt auf einem schön geteerten Radweg durch ein hübsches Tal, weit weg von befahrenen Strassen. Ich bin beeindruckt von der Qualität der Strassen und Radwege, die ich bisher hier in Thüringen gesehen habe. Alles in Top-Zustand und wunderbar zu fahren. In Schleswig Holstein und Niedersachsen waren die Radwege oft in keinem so guten Zustand. Immer wieder fuhr ich auf Streckenabschnitten mit ganz fiesen Dellen, Huppeln und Rissen im Belag. Meist verursacht durch Wurzeln oder einen weichen Untergrund. Mit einem vollbeladenen Tourenrad ist das etwas mühsam zu fahren. Kurz vor halb neun stehen 120 Kilometer auf dem Tacho und mein Tagesziel ist erreicht. Ich werde von Martin und Karin sehr freundlich empfangen. Lisa, die kleinste seiner drei Töchter hüpft auch noch herum und begrüsst mich, etwas später taucht dann noch Anna auf und sagt Hallo. Marie, die älteste Tochter schläft heute bei einer Freundin. Die werd ich dann erst morgen kennen lernen. Wir verbringen einen gemütlichen Abend am grossen Küchentisch und schwatzen. Ich bekomme noch ein kleines Vesper, dazu herrlich kühles Bier. Alles in allem erlebe ich hier familiären Fünfsterne-Komfort. Im Untergeschoss darf ein eigenes Zimmer mit grossem Bett und separatem Badezimmer beziehen. Eine witzige Begegnung, wenn man bedenkt, dass ich mit Martin seit ca. acht Jahren zusammen arbeite und wir uns noch nie getroffen haben. Ich freue mich darüber, dass ich meine schmutzige und verschwitzten Kleider gleich noch in die Waschmaschine schmeissen kann und ich so für die nächsten Tage, wieder frische Sachen zum anziehen habe. Gemütlich quatschen wir dann noch zu dritt in der Küche bis fast ein Uhr in der Früh. Bis ich mein Gepäck hergerichtet und alle meine Geräte zum laden installiert habe, ists dann halb zwei. Ich kann meine Augen kaum mehr offen halten, geschweige denn, eine Zeile Tagebuch schreiben und falle schnell in einen tiefen Schlaf.

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