Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 9: Montag, 17. Juni 2019
In Hamburg sagt man tschüss.

Hamburg - Harburg - Lüneburger Heide (Wilsede) - Heber
[Karte]

Radreise Teil 4 (Tage 9 und 10)

Durch den Elbtunnel verlasse ich Hamburg, durchquere die Lüneburger Heide und fahre bis zum Steinhuder Meer.

Ich bin nicht ganz so zeitig aufgewacht wie gestern, aber so gegen halb neun schaffe ichs zum Frühstück. Der Rezeptionist, ein sehr freundlicher Herr, mit dem ich noch einen kurzen Schwatz halte hilft mir meinen ganzen Krempel samt Fahrrad vors Hotel zu stellen. Er erzählt mir, dass im Hauseingang neben dem Hotel eine Drogenstube ist und deshalb sich hier an der Ecke die ganzen Junkies herumtreiben und viel Lärm und Schmutz verursachen. Er meint, dass die Drogenstube bald an einen anderen Ort kommt und freut sich sehr darauf, da diese Szene natürlich für sein Haus und die Hotelgäste eine grosse Belastung sind. Ist schon übel, aber schlussendlich müssen wir auf den hängen gebliebenen Hilfe anbieten. Das Problem ist nur, dass eine solche Dorgenstelle wohl überall Probleme mit der Nachbarschaft verursacht. Eine echte Herausforderung für die Stadtregierung. Hier in Zürich kann man ja auch ein Lied davon singen. Denken wir nur an die Szenen in den späten 80er Jahren als die Drogensüchtigen sich aus der ganzen Schweiz im Needlepark hinter dem Landesmusum versammelt hatten und eine unglaubliche Subkultur mit furchtbarem Elend entstanden ist.

Binnenalster

Binnenalster

Ich verabschiede mich von dem netten Herrn, packe alle meine Taschen ans Rad und zurre meinen Zeltsack am Gepäckträger fest. Eine Attraktion, die auf meiner Hamburger Bucket-Liste ganz weit oben steht ist noch offen: der alte Elbtunnel. Da er direkt auf meiner Route liegt, lässt sich diese Sehenswürdigkeit prima in meine Tour einbinden. Schon gestern bin ich hier vorbeigelaufen und dachte, als ich von aussen die Lastenaufzüge sah, dass die bestimmt nicht mehr in Betrieb sind, da ja eh keine Autos mehr durch den Tunnel fahren dürfen. Das dies eine falsche Annahme war, merkte ich, als ich im Personenaufzug mit zwei anderen Radlern ins Untergeschoss fahre. Nur schon der Bau erinnert mich an eine Szene aus dem schönen Riven Computerspiel. Ohne Fahrrad hätte ich auf jeden Fall die Treppe genommen, die der geschwungenen Wand folgend nach unten führt. Mit dem schwer beladenen Velo war das natürlich keine Option. Als ich dann unten vor den mächtigen Türen der Lastenaufzüge stehe merke ich erst, dass die noch in Betrieb sind. Ich bin völlig baff. Was für eine Wahnsinns-Konstruktion. Als ich mich fürs erste satt gesehen habe, gehts weiter durch das schön gekachelte Tunnel. Als Radler darf man die Fahrspur in der Mitte nutzen und hat so ziemlich freie Bahn. Auf der anderen Elbseite ist das Gebäude nicht mehr ganz so imposant und auch von Aussen eher unauffällig. Natürlich muss ich noch den grossen Lastenaufzug testen. Mit meinem vollbeladenen Tourer bin ich ja prädestiniert dafür. Dank eines Geocaches, den ich wegen dieser Location unbedingt machen möchte, werde ich erst darauf aufmerksam gemacht, dass man von dieser Seite von einer kleinen Aussichtsplattform eine wunderbare Aussicht auf die Stadt hat. So geniesse ich bei herrlichem Sonnenschein nochmal die Skyline von Hamburg und fahre dann los. Immer schön der roten Linie meinem GPS folgend, wo die gesamte Tour von Sylt bis Oberstdorf gespeichert ist. Bis jetzt passte das immer wunderbar. In der Regel folge ich den Radwegen. Dass die manchmal unmögliche Bögen schlagen und einem immer wieder ein paar Extrakilometer bescheren ist einfach so. Solange ich keinen Stress habe, stört mich das nicht, wenn man Abends aber ankommen will, kann es schon mal nerven.

Alter Elbtunnel

Alter Elbtunnel

Die nächsten Kilometer sind dann etwas eigenartig. Ich fahre durch Landschaften, wo ich nicht weiss, ob das noch Hafenanlagen, alte Industriebauten oder Lagerhallen sind. Man weiss nicht so recht, was da noch alles in Betrieb ist und was nicht. Dann folgen aus dem Nichts plötzlich wieder Neubaugebiete, ein Stück Brachland oder Grünfläche und plötzlich ist man wieder in einer Stadt (Hamburg Mitte oder Wilhelmsburg). In dieser Gegend wirkt vieles etwas heruntergekommen. Es ist sicher nicht die bevorzugte Wohngegend der besser Betuchten. Als ich in einer Hofdurchfahrt einen Wegweiser zu Aldi sehe, schwenke ich von meiner Route rechts ab. Zum einen habe ich noch eine ganze Menge Pfandflaschen dabei, die ich zurückbringen möchte und die mir den Platz in den Taschen wegnehemen. Zum anderen habe ich schon wieder Durst. Es ist ganz schön heiss und viel im Schatten gefahren bin ich heute noch nicht. Als ich dann zu meiner Überraschung neben dem Aldi auch einen Edeka sehe, geh ich natürlich dort hin. Die Pfandflaschen lass ich aber im Gepäck, denn vor dem Receycling-Raum mit den beiden Flaschenautomaten stehen Leute mit gefüllten Wägelchen und Plastiksäcken Schlange. Sowas habe ich jetzt auch noch nicht gesehen. Es ist ein bunter Mix von Randständigen, wahrscheinlich dem einen oder anderen Harzempfänger und Senioren. Mir ist es mit meinem vollgepackten Velo an diesem Ort nicht ganz wohl. Ich kann ja nur mein Fahrrad abschliessen. Die Taschen kann ich unmöglich mit ins Geschäft nehmen. In der einen ist mein Laptop in der anderen die Drohne, die ich noch nie benutzt habe ;-) Also ein durchaus lohnender Griff, für jemand, der einfach auf gut Glück mal eine Tasche aushängt und mitnimmt. Ich kann auch nicht all meine Gadgets in die Lenkertasche nehmen, die ich immer bei mir habe. Für Laptop und Drohne ist hier definitiv kein Platz. Die Tasche mit dem Laptop nehme zur Sicherheit aber mit. Aus diesem Grund beeile ich mich mit dem Einkauf und hol mir nur zwei Schorle.

Der weitere Weg ist dann wieder ähnlich, wie die ersten Kilometer aus Hamburg heraus. Es folgt wieder ein Mix aus Lagerhallen, Kanälen, Brücken, Wohngebieten und Industriebauten. Ich nehme an, dass hier alles noch ans Hafen- oder Kanalnetz angeschlossen ist. Das nächste Städtchen Harburg ist dann schon wieder ein ganzes Stückchen sauberer. Vor der Ortseinfahrt überquere ich noch eine tolle alte Eisenbrücke, die über die Süderelbe führt. Die wurde vor etlichen Jahre saniert und dient heute nur noch den Fussgängern und Radfahrern. Die neue Brücke steht nur ein paar Meter daneben und der Lärm deutet darauf hin, dass hier eine viel befahrene Bundestrasse durch führt. Am Ortsrand werde ich dann auch endlich mein Pfandgut los. In einem Neubaugebiet entdecke ich einen Edeka und so langsam weiss ich auch, dass in neueren Filialen immer eigene Receylingräume ausserhalb des Ladengeschäfts zu finden sind und man sein Leergut nicht im Geschäft direkt zurückgeben kann. Ich stocke gleich nochmal meinen Apfelschorlebedarf auf und fahre weiter.

Alte Eisenbrücke über die Süderelbe

Alte Eisenbrücke über die Süderelbe

Nach Harburg gehts dann plötzlich in einen Wald hinein und was mich hier überrascht: Es geht zum ersten mal seit Sylt ein paar Meter richtig steil bergauf. Der höchste Punkt des Tages liegt um die 130 Meter über Meeresspiegel. Herrlich, endlich wieder mal ein Hügel. Das mühsame bergauf fahren wird immer auch mit einer Abfahrt belohnt. Das ewige gleichmässige treten auf kilometerlangen ebenen Strecken hat zumindest vorübergehend ein Ende. Toll, wenn die Abfahrt auch mal wieder länger als fünf Sekunden dauert, was ungefähr der Abfahrtslänge von einer Deichkrone entspricht ;-) Hier ändert sich auch das Landschaftsbild ziemlich markant. Der Weg führt durch richtig grosse Wälder. Das fahren im Wald ist bei diesen Temperaturen ein Genuss und angenehm kühl. Stage 10 liegt auf einer kleinen Lichtung in einem solchen Waldstück. Es gibt hier ein paar Bänke und Tische. Ein idealer Ort für eine Pause. Ich hab mal wieder Krabbensalat mit frischen Brötchen im Gepäck und geniesse die Stärkung im auf einem Bänkchen im Schatten. Der weitere Weg führt dann zuerst noch einige Kilometer durch Wälder und später wieder über Land und an kleinen Weilern vorbei. Mir gefallen die grossen alten Bauernhöfe, die oft schön hergerichtet und restauriert sind. Auf den Ortsschildern sehe ich, dass ich bereits in der Nordheide bin und gegen den späteren Nachmittag passiere ich dann das erste Schild, welches den Naturpark Lüneburger Heide ankündet. Wieder ändert sich die Landschaft rapide und als ich aus einem Dorf heraus fahre, öffnet sich vor mir plötzlich eine tolle Heidelandschaft. Ich bin geflasht von der Schönheit und mache an einem Wanderparkplatz einen kurzen Abstecher. Ein sandiger Wanderweg zweigt hier nach links von der Strasse ab und ich folge ihm mit dem Rad ein ganzes Stück, bis ich ganz und gar von dieser tollen Natur umgeben bin. Ich bin begeistert. Diese Gegend strahlt für mich eine solche Ruhe und Harmonie aus, ich könnt hier glatt mein Zelt hinstellen, oder einfach zwei Stunden auf einem Bänkchen sitzen, in die Welt hinaus schauen und nichts tun. Dazu der Duft der Nadelhölzer, der einem hier in die Nase steigt: sagenhaft. Witzig ist, dass sich hier diese geschützten Heidelandschaften sehr schroff mit Nutzland abwechseln. Eine Baumreihe oder ein kleines Waldstück und schon steht man wieder inmitten einer normalen Landwirtschaftszone. Maisfelder, Wiesen oder Kornfelder wechseln sich ab. Das ist zwar auch recht hübsch anzusehen, aber im Vergleich mit dieser Heidelandschaft kein Vergleich.

Als ich dann in die Ortschaft Undeloh komme, verstehe ich die Welt für einen Moment nicht mehr. Ich passiere einen Gasthof nach dem anderen, an jedem Bauernhof hängt ein Schild, das Ferienwohnungen anpreist und auch ein paar kleine nette Hotels säumen die Strasse. Dazu steht vor jedem zweiten Haus ein Schild: Hier Kutschfahrten. Ich verstehe (noch) nicht, was das ganze soll. Es ist alles unglaublich sauber und herausgeputzt. Nahe am Kitsch, aber lustigerweise sehe ich kaum Leute. Die vielen Restaurants oder Besenbeizen, die draussen gestuhlt haben, sind leer. Passt irgendwie nicht. So langsam sollte die Saison doch auch hier losgegangen sein. Das zeigt sich auch an den Campingplätzen, die alle schon sehr gut belegt sind. Als ich das Dorf wieder verlasse wird mir langsam klar, dass ich nun wohl im Herzen von der Lüneburger Heide angekommen bin. Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Plötzlich gibt es nur noch Kopfsteinpflaster Strassen, die für jeglichen Auto- und Motorradverkehr gesperrt sind. Neben dieser Strasse ist fast immer ein separater sandiger Weg, wo man die Spuren der Kutschen gut erkennen kann und ein Gespann begegnet mir dann auch noch. Wahrscheinlich fährt es sich nebenan auf dem sandigen Boden besser, als auf dem holprigen Kopfsteinplaster.

Hübsche Häuschen bei Wilsede

Hübsche Häuschen bei Wilsede

Die Krönung dieses Tages erlebe ich dann aber, als ich im Dörfchen Wilsede ankomme. Schon die Höfe am Dorfrand sehen aus wie aus dem Freilichtmuseum. Die meisten bieten wieder Ferienwohnungen an, oder sind gar Hotels und kleine Restaurants. Der alte Dorfkern haut mich dann aber endgültig weg. Es ist hier wunderschön und so idylisch. Irgendwie verstehe ich Anfangs nur nicht, wieso hier keine Menschen und die Restaurants alle leer sind. Etwas später lese ich dann, dass hier die Hauptsaison erst im August und September ist, wenn die Heide blüht und dann ist das hier ja auch alles autofrei. Deshalb im Dorf zuvor auch diese Flut von Kutschunternehmen, die die Touristen hier durch die Heide kutschieren. Also mal wieder das typische Bild. Da wo man nicht direkt mit dem Auto hinkommt, tanzt halt auch am Abend kein Bär mehr, weil man eben nur mühsam zu Fuss, oder mit dem Rad oder eben mit der Kutsche hinkommt. Da es inzwischen fast sieben Uhr ist, sind wohl all die Tagestouristen die hierher gewandert oder mit dem Rad gekommen sind, schon wieder weg. Am Sammelplatz gibt es auch keinen Carparkplatz oder eine Bushaltestelle. Hier findet man nur Anbindstationen für die Pferde und das riecht man auch. Köstlich.

Heuhotel auf dem Camping Park Lüneburger Heide

Heuhotel auf dem Camping Park Lüneburger Heide

Das letzte Wegstück ist dann ziemlich beschwerlich. Zum einen bläst ein ganz schöner Wind, zum anderen sind die sandigen Wege sehr anstrengend zu fahren. Weil mein Campingplatz etwas neben meiner geplanten Route liegt, zweige ich vorher ab und erwische auch ein paar sehr schlecht befahrbare Wege. Die tolle Heidelandschaft rund um mich und das weiche Abendlicht machen aber alle Mühen vergessen. Um fünf nach acht erreiche ich dann den Camping Park Lüneburger Heide in Heber. Hier hat sich eine Ehepaar ein kleines Paradies gebaut. Die Anlage ist unglaublich schön angelegt. Inklusive Naturteich zum baden, Streichelzoo, irgendwelchen krummen Minihäuschen, die ausschauen, wie aus dem Märchen und die sie als Heuhotel vermieten. Viel mehr als zwei Leute passen in diese schnuckligen, mit Heu ausgelegten Häuschen aber auch nicht rein. Ich darf mein Zelt irgendwo auf der Zeltwiese aufstellen, die in einem parkähnlichen Garten liegt, umsäumt von schönen Rhododendren. Das Ganze ist schon fast ein bisschen zu kitschig und zu viel des Guten, aber es macht wirklich was her und ich fühle mich hier sehr wohl. Als ich mein Zelt aufgestellt habe, spaziere ich noch über die Anlage. Die ist einiges Grösser als ich mir das vorgestellt hatte. Es wirkt aber alles sehr persönlich und familiär. Ein kleines Problem habe ich aber noch: Ich habe noch kein Abendessen und Frühstück eingekauft. Auf dem langen Weg durch die Heide kam ich an keinem Supermarkt mehr vorbei und bei den heissen Temperaturen wollte ich nicht schon am Morgen die Einkäufe für den Abend und nächsten Morgen erledigen und den ganzen Krempel einen Tag lang in den heissen Packtaschen durchs Land fahren. Dummerweise hatte auch das Restaurant auf dem Campingplatz Ruhetag. Der Chef des Platzes, der gerade Feierabend machen wollte, als ich ankam, empfahl mir aber ein Restaurant am Dorfrand. Ich folgte seiner Wegbeschreibung und landete bei einem Griechen und war sehr froh, dass die Küche noch geöffnet war, was hier in Deutschland um 21 Uhr, besonders auf dem Land, nicht selbstverständlich ist. Ich frage den Besitzer was er mir denn empfehlen kann, da ich mich mit der griechischen Küche nicht auskenne. Der nette Chef entpuppt sich dann aber als Kroate und empfiehlt mir einen Tintenfisch. Mir gefällt die Idee und das Essen schmeckt vorzüglich. Dazu gibt es Reis und Salat. Zurück auf dem Camping muss ich dann noch kurz zwei Dinge fürs Geschäft erledigen. Um halb eins hab ich dann aber keine Lust mehr zum schreiben und verschiebe den heutigen Eintrag auf morgen.

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