Tag 7: Samstag, 15. Juni 2019
Landei in der Junkie Loge
Kollmar - Glückstadt - Wedel - Hamburg
[Karte]
Radreise Teil 3 (Tage 6 – 8)
Vom Büsum bis Brunsbüttel gehts noch der Nordsee entlang, dann der Elbe folgend bis nach Hamburg.
Auf meinem Youtube Kanal findest du weitere Radel- und Wandervideos.
In der Nacht hat es geregnet und als ich kurz vor sieben aufwache regnet es immer noch leicht. Ich knipse den Wetterradar an und sehe, dass gerade eine Front durchgezogen ist. Tatsächlich hört der Regen kurz danach auf und so geb ich mir einen Ruck und stehe auf. Zuerst reibe ich das Zelt mit dem Lumpen ab und trockne es mit dem Handtuch so gut es geht nach. Ein nasses Zelt einzupacken ist mist, besonders wenn es für zwei Tage im wasserdichten Sack eingepackt ist. Wahrscheinlich bleibe ich für zwei Nächte in Hamburg wo ich im Hotel übernachten möchte. Nachdem ich alles abgerieben habe, geh ich mir die Zähne putzen und bereite mein Frühstück draussen vor meinem Schlaflager vor. Ich hoffe, dass mein Zelt bis ich zusammenpacke und gefrühstückt habe an der Luft noch ganz abtrocknen kann. Gerade als ich den Kaffee aufsetzen möchte, überrascht mich aber schon der nächste Regenschauer. Erst trotze ich dem Nass von oben, aber es wird dann doch zu viel und so verkrieche ich mich wieder unter mein schützendes Dach und bereite mein Frühstück im Liegen unter der Apside vor. Mich ärgert dass ich das Zelt nun nochmal trocknen muss. Der Schauer dauert länger als ich gedacht hatte und es der Radar vermuten liess und so rolle ich den Schlafsack nochmal aus, lege mich darauf und döse etwas vor mich hin. Kurz bevor ich einnicke realisiere ich, dass der Regen wieder aufgehört hat und so starte ich den zweiten Versuch mein Zelt zu trocknen und meine Kram zusammenzupacken.
Inzwischen ist Johannes wieder aufgetaucht und ich frage ihn, ob ich mein Gepäck unter dem Vordach seines Häuschens deponieren kann. Ich möchte nochmal zurück nach Glückstadt fahren und mir das Städtchen in Ruhe anschauen, weil mir dazu gestern ganz einfach die Zeit gefehlt hat. Natürlich darf ich meine Sachen unters trockene Vordach stellen und so fahre ich für einmal mit einem federleichtem Velo, die gut zehn Kilometer zurück. Schon am Hafen ist eine Menge los und so steige ich ab und schiebe mein Rad durch die Festbesucher. Schöne Hausfassaden zieren hier die Hafenanlage. Auf dem kleinen Platz davor spielt eine Band und eine Kneipe mit grosser Outdoor-Area lädt zum verweilen ein. Dem Quai entlang sind viele Stände aufgebaut, einige der festgemachten Boote kann man besichtigen. Die meisten Stände sind von lokalen Vereinen und werben oft mit witzigen Ideen oder Spielen für ihr Angeobt. Es beginnt wieder zu nieseln und ich ärgere mich, dass ich mich auf die etwas gar unsichere Vorhersage des Regenradars verlassen habe und nur im T-Shirt, ohne Jacke losgefahren bin. Zum Glück bleibt es aber bei einem Mini-Intermezzo, das ich fast trocken überstehe. Der Grund der Festivitäten ist übrigens die Matjes-Woche, ein viertägiges Stadtfest mit einer bereits über 50-jährigen Tradition. Die Hauptattraktion ist das Öffnen des ersten Matjesfasses der Saison. Inzwischen habe ich gelernt, das Matjes junge Heringe sind, die Ende Mai bis Anfang Juni gefangen werden, bevor ihre Paarungszeit beginnt. In dieser Zeit haben sie einen höheren Fettgehalt und sollen dadurch irgendwie milder sein. Die gefangenen Fische werden nur teilweise ausgenommen und in einer Salzlake, traditioneller Weise in Eichenfässern, für ungefähr fünf Tage eingelegt. Die Enzyme der Bauspeicheldrüse fermentieren das Fleisch teilweise, was das eh schon gut verdauliche Fleisch noch bekömmlicher macht.
Marktplatz Glückstadt
Ich spaziere durch eine schöne Gasse zum Marktplatz. Kleine Festwirtschaften, Bars und natürlich viele Fischstände buhlen um die Gäste. Dem Fest entsprechend gibts natürlich überall Matjes-Brötchen zu kaufen. Ich kann in der kurzen Zeit natürlich nicht den Stand mit den besten Brötchen eruieren, aber das zweite war definitiv besser als das erste ;-) So schlendere ich noch ein Weilchen durch die Gassen von Glückstadt und mache noch einen kleinen Abstecher in den Stadtpark. Ich lese, dass Glückstadt auf dem Reissbrett geplant wurde und auf einem sechseckigen Grundriss basiert, in deren Zentrum der Marktplatz steht und auf den sieben Strassen radial zulaufen. Der Fleht, ein Kanal dem auf beiden Seiten eine Strasse mit Bäumen folgt, scheint die Hauptstrasse mitten durchs Zentrum zu sein. Hier bin ich gestern schon vorbei gekommen. Heute säumen klassische Marktstände und ein Flohmarkt die Strasse. Es ist kaum ein durchkommen und es scheint, als ob die ganze Stadt unterwegs ist. Ich bin froh, dass ich mir für diesen Ausflug nochmal einen halben Tag Zeit genommen habe.
Unterwegs
Zurück auf dem Campingplatz brauche ich erst mal ein Päuschen. Ich bin müde. War wohl zu früh aufgestanden, oder gestern zu spät ins Bett gegangen. Die tägliche Anstrengung ist ja auch nicht ganz ohne, auch wenns nicht immer hundert Kilometer am Tag sind. Ich setze mich in einen Stuhl unter dem Vordach, wo mein Gepäck deponiert ist. Ich krame den Laptop hervor weil ich für Hamburg noch ein Hotel buchen möchte. Mano, ist das mühsam! Die Auswahl ist endlos. Die Bilder auf den Booking-Portalen sehen ja eh meistens ganz ok aus, oder sind zumindest so inszeniert dass man eh nie richtig erkennt, ob das jetzt Mist ist oder nicht. Ich suche ein Hotel, das zentral und günstig ist. Ich hab keine Lust hundert Euro pro Nacht auszugeben, für den kurzen Moment wo ich im Zimmer bin. Es beginnt wieder zu regnen und ich bin froh, dass ich nach dem Stadtbummel nicht gleich weiter gefahren bin. Eines kann ich jetzt aber schon vorweg nehmen: An diesem Tag werde ich nicht mehr verregnet, auch wenn es immer wieder sehr danach ausgesehen hat. Abends höre ich dann in den Nachrichten, dass es hier im Norden ein paar heftige Unwetter gegeben haben soll.
Elbekreuzung
Der weitere Weg nach Hamburg ist dann nicht weiter spektakulär. Dammfahren halt. Ich habs echt langsam gesehen, die alte Geschichte von der Nordsee: Entweder fährt man innerhalb des Dammes, dann sieht man rechts die Elbe und den rechten Damm und links von einem Damm und Schafe, oder man fährt ausserhalb des Damms, dann sieht man rechts Damm und Schafe und links das Marschgebiet. Irgendwie hatte ich das im Norden an der See auch schon gut ausgekostet. Das Marschland ist aber recht hübsch. Viele kleine Weiher und alte Wasserläufe prägen die Landschaft. Viel Vogelgezwitscher begleitet mich und natürlich fliegt auch das eine oder andere Federvieh um mich herum. Irgendwann taucht der höchste Hochspannungsmast Europas am Horizont auf. Ich staune, dass ich noch einige Kilometer radeln muss, bis ich dann endlich vor diesem Monster aus Stahl stehe. Um meine Neugier zu stillen schaue ich auf der Website von Geocaching nach, ob hier an diesem markanten Bauwerk nicht ein Döschen versteckt ist und es dazu auch ein paar Informationen gibt. Natürlich werde ich fündig und erfahre, dass dieses Ding und sein Bruder auf der anderen Seite der Elbe Elbekreuzung 1 und 2 heissen und unglaubliche 227 Meter hoch sind. Sie überspannen und den Fluss auf einer Länge von über einem Kilometer. Die Höhe ist nötig, um die Durchfahrtshöhe von 75 Metern für die grossen Pötte zu gewährleisten. Die Grundfläche, auf der die Masten stehen beläuft sich auch nicht weniger beeindruckende 45 x 45 Meter. Der Eiffelturm ist nicht mal hundert Meter höher ;-)
Airbus-Werk
Die Zeit rückt wieder zügig voran. Ich nehms aber gemütlich, lege noch eine Vesperpause ein und suche mal wieder erfolglos nach einem Cache. Die Zahl der Radler, Jogger und Spaziergänger nimmt nun mit jedem Kilometer zu, dem ich der Stadt näher komme. Schon bald stehe ich vor Wedel, einem Vorort von Hamburg. Wedel ist die letzte Gemeinde in Schleswig Holstein, danach beginnt das Bundesland Hamburg. Es wird waldig, ich finde den Weg nicht besonders attraktiv, aber die Szenerie wird immer belebter und die Industriebauten auf der anderen Seite der Elbe werden immer grösser. Die Hallen von Airbus sind gigantisch. Weitere riesige Industrie- oder Hafenanlagen säumen von nun an das rechte Elbufer. Auf meiner Flussseite passiere ich immer schicker drein schauende Stadtviertel. Mal führt der Radweg über breite und schön angelegte Promenaden, dann plötzlich ganz eng werdend, zwängt er sich zwischen begrünten Mäuerchen und prächtigen Stadtvillen hindurch, wo man nicht fahren darf und sein Rad schieben muss, damit man aneinander vorbei kommt, weil kaum zwei Menschen nebeneinander Platz haben. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich ich hier auf dem richtige Weg bin, aber ich bin definitiv auch nicht der einzige Radler, der hier sein Velo schiebt. Das Quartier ist wunderschön und ein Prachtbau der mich ans Negresco von Nizza erinnert stellt sich als Hotel Blankenese heraus. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich dann wieder breite und fahrbare Strassen und als dann die Elbphilharmonie vor mir auftaucht, weiss ich, dass es nicht mehr weit ist.
Am Rathaus
Irgendwie mag mein Navi seit dem letzten Firmwareupdate nicht mehr navigieren und da das Hotel natürlich nicht auf meiner geplanten Route liegt, kann ich nur der geraden Linie folgen, die mir die direkte Strecke als Luftlinie anzeigt. Das ist eigentlich eine ganz witzige Art sich einem Ziel zu nähern, weil man immer noch das Gefühl hat, ein bisschen an der Streckenführung mit beteiligt gewesen zu sein, aber im Moment bin ich gerade etwas überfordert von der Grossstadt und fühle mich nicht sonderlich wohl. Irgendwie bin ich mit meinem vollbeladenen Fahrrad und in meiner verschwitzen Radmontur ein ziemlicher Fremdkörper in dem Gewusel von Hamburg. Ich will möglichst schnell ins Hotel und hab dort auch noch am Computer zwei, drei Dinge fürs Geschäft zu erledigen. Der Luftlinie folgend, schlängle ich mich im Zickzackkurs Richtung Hotel. Als ich dann in die Brennerstrasse einlenke, bin ich ehrlich gesagt leicht schockiert. Die Strassengraben und Trottoirs sind voller Müll, Junkies torkeln halb im Delierium umher, sitzen am Boden oder sind beschäftigt mit irgendwelchem Krimskrams oder Deals. Ein paar Drogennutten stehen auch noch ziemlich unbeteiligt an den Hausmauern und warten auf Kundschaft. Alles in allem ein Bild das ich jetzt so hier nicht erwartet hätte. Einen Moment überlege ich mir, gar nicht erst ins Hotel zu gehen, aber zum einen weiss ich ja nicht was mich erwartet und habe schon bezahlt und auch keine Lust nochmal was anderes zu suchen und zum anderen bin ich müde und will nur ein Bett und eine Dusche. Also Taschen abmontieren und möglichst weder das Rad noch die abgelegten Taschen allzuweit voneinander deponieren, um den ganzen Krempel die drei Treppenstufen zum Hoteleingang zu hochzutragen. Vielleicht bin ich grad etwas übervorsichtig, aber das letzte was ich jetzt brauchen kann ist irgend ein Idiot, der eh nix zu verlieren hat und blind eine meiner Taschen oder das Fahrrad krallt und damit abhaut. Ok, komm wieder runter! Der Szenenwechsel für einen, der eine Woche durch die heile schöne Welt von Norddeutschland geradelt ist, ist im Moment grad etwas heftig. Das Hotel stellt sich dann aber als ganz ok heraus. Der Concierge lässt mich mein Rad in einem Nebenraum zum Frühstücksraum abstellen. Hier im Haus ist es auf jeden Fall save. Das Zimmer ist überraschend gross und sauber. Das Badezimmer modern und sehr ok. Ich hatte mir das alles viel abgewrackter vorgestellt, als ich vor ein paar Minuten in die Strasse einbog. Aber es ist alles in Ordnung, meine Einwände völlig unbegründet. So langsam komme ich auch in Downtown Hamburg an. Zuerst packe ich meinen feuchten Krempel aus und verteile ihn zum trocknen im Zimmer, dann hüpfe ich unter die Dusche. Ich schaue auf die Uhr. Es ist schon wieder nach neun. Ich krame all meine Gerätchen die Strom brauchen hervor und stecke sie an die Steckdose. Die Zeit rennt. Unten vor dem Haus nimmt die Geschäftigkeit nach dem Eindunkeln merklich zu. Die Junkies kommen und gehen, die Nutten verschwinden auch immer mal für ein Momentchen in irgendwelchen Hauseingängen oder was weiss ich nicht wohin ;-) Ich mag nicht mehr rausgehn, checke noch meine Mals und schlafe dann gegen Mitternacht ein.