Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 4: Mittwoch, 12. Juni 2019
Der erste Regentest

Neudorf - Niebüll - Dagebüll - Nordstrand - Schobüll
[Karte]

Radreise Teil 2 (Tage 4 und 5)

Vom nördlichsten Hotel auf dem Festland gehts der Küste entlang südwärts bis Büsum.

Morgens um sechs werd ich kurz wach, weil mir die Sonne ins Geschicht scheint. Zu früh um aufzustehen. Erstens weil ich noch zu müde bin, zweitens weils um diese Zeit eh noch kein Frühstück gibt und drittens hab ich Urlaub. Also Vorhang zu und zurück ins Bett. Das nächste Mal werd ich dann kurz vor acht Uhr wach. Das passt. Ein wunderbares Frühstücksbuffet wartet auf mich. Nicht schlecht, was hier in diesem unscheinbaren Landgasthof so alles aufgetischt wird und dazu gibts auf Wunsch auch noch ein Rührei. Da lass ich mich nicht zweimal bitten und bestelle mir eine Portion.

Gegen neun hab ich all meinen Krempel gepackt und bin ready. Der obligate Kontrollblick ins Zimmer, inklusive Betten- und Badezimmercheck scheint ok und so pack ich meine fünf Taschen und montiere wieder alles an mein Rad. Ich möchte den Tag mit einem spannend klingenden Multi-Cache starten, breche die Übung aber bald wieder ab, als ich bei Station 4, die am nächsten beim Hotel liegt feststelle, dass die Stages 1, 2 und 3 alle im Norden liegen, ich also nochmal ein paar Kilometer zurückradeln müsste. Weitere Stationen die ich auch noch anfahren muss liegen dann wieder fünf Kilometer südlich von hier und ich rechne mir aus, dass ich mit dieser Aktion locker zwei bis drei Stunden Zeit verlieren würde. Also breche ich ab und fahre zum Hotel zurück wo ich wieder auf meine geplante Route Richtung Süden einbiege.

Das Wetter ist ganz angenehm, Sonne und Wolken wechseln sich ab, der Wind bläst wie immer, behindert mich aber nicht allzu sehr. In Klanxbüll muss ich schmunzeln als just vor mir die Schranke am Bahnübergang beim Bahnhof runter geht. Sowas hab ich seit Jahren nicht mehr gesehen und ich erinnere mich an meine Kindheit zurück, als es das in der Schweiz auch noch gab. Ein langer Stab mit einem Metallhämmerchen schlägt am Ende der Schranke an eine Metallglocke. Ein schepperndes Bimmeln warnt so die Autofahrer vor der geschlossenen Schranke. Das Ganze ist noch voll mechanisch und wird von langen Kabeln betrieben, welche auch für das heben und senken der Schranke zuständig sind und von einem entfernten Ort gesteuert werden. Es gibt kein Blinklicht, nur ein Martinskreuz. Die Strecke selbst ist noch mit mechanischen Signalen versehen. Das sind diese Tafeln mit der runden Kelle am Ende, die wenn die Fahrt freigegeben wird, 45 Grad nach oben zeigen und wenn die Durchfahrt gesperrt ist, in die Horizontale zurück gestellt werden. Eisenbahnromantik pur. Natürlich ist die Strecke nicht elektrifiziert und laut dröhnend fährt die Diesellock mit vielen Wagen an mir vorbei. Ich hab mich schon auf meiner Reise durchs Allgäu und Bayern gewundert, wieviele nicht elektrifizierte Eisenbahnstrecken es hier in Deutschland noch gibt. Für uns Schweizer schlicht unvorstellbar.

Endlose Deichwege Watt

Endlose Deichwege.

Nach etwa einer Stunde erreiche ich dann wieder das Meer und folge dem Radweg am Deich. Irgendwie hatte ich mir das spannender vorgestellt. Landschaftlich gibt es hier nicht sehr viel her. Nach einer halben Stunde hat man die Szenerie gesehen. Fährt man auf der Meerseite des Deiches, sieht man links nur den Grashang, der einem die Sicht zum Festland versperrt. Rechts gibts meist noch ein bisschen Graslad oder Watt und dann Wasser. Ach ja und dann gibts noch Schafe. Endlos viele Schafe... aber diese schnuckligen Tierchen entzücken einen nach einem Weilchen dann auch nicht mehr gross. Dazu kommt dann noch gefühlt alle 500 Meter ein Zaun. Da muss man jedesmal vom Fahrrad absteigen, um das Tor zu öffnen. Soweit auch ok, aber auch das wird mit der Zeit bisschen nervig ;-)

Irgendwann möchte ich dann ein Foto mit der Kamera machen, da ich nicht nur iPhone Bildchen mit nach Hause bringen möchte, kann das Teil in meiner Lenkertasche aber nicht finden. Mein Puls steigt kurz an. Ich beginne eine Tasche nach der anderen auszupacken. Natürlich, wie immer in solchen Situationen auch die, wo man sich ganz sicher ist, dass die Kamera bestimmt nicht drin ist. So ein Mist, die Kamera ist nicht auffindbar. Ich muss sie im Hotel liegen gelassen haben, obwohl ich beim verlassen des Zimmers nochmal Badezimmer, Bett und den Raum gecheckt habe. Was nun? Ich krame mein Telefon hervor und rufe im Hotel an. Die gesprächige polnische Chefin sagt mir, dass sie noch nicht im Zimmer gewesen sei und gleich schauen ginge. Ich soll in 10 Minuten nochmal anrufen. Ich bedanke mich und zünftig genervt drehe ich um. Die Gatter ärgern mich nun noch mehr und ich überlege mir, ob ich über die Hauptstrasse zurückfahren soll... in der Hoffnung dass meine Kamera auch wirklich noch im Hotel liegt. Die Erlösung kommt, als mir die Chefin beim Rückruf sagt, dass meine Kamera inkl. Velohandschuhe noch im Zimmer lagen. Im Nachhinein fällt mir dann auch ein, wo die gelegen haben müssen, nämlich hinter dem gezogenen Vorhang, den ich am Morgen früh, schlaftrunken zugezogen hatte, weil mich die Sonne geblendet hatte. Das war der einzig Ort, wo ich beim Zimmercheck nicht nachgeschaut hatt. Bravo, gut gemacht Pierre! Ich bin so erleichtert, dass mir zusätzliche zwei bis drei Stunden, die ich verlieren würde, wenn ich nochmal zum Hotel zurückfahren müsste, plötzlich völlig egal sind. Aber es kommt dann wieder mal anders als gedacht. Die Chefin fragt mich wo ich gerade sei. Ich antworte: Hinterm Deich. Sie lacht. Natürlich merke ich, auf was die nette Frau hinaus will und suche auf dem GPS die nächst grössere Ortschaft. Niebüll liegt etwa acht Kilometer Luftlinie von meinem aktuellen Standort landeinwärts. Niebüll ist ihr natürlich geläufig und so schlägt sie mir vor, dass sie ihren Mann losschickt und wir uns bei Edeka in Niebüll treffen sollen. Wir vereinbaren den Treffpunkt auf 12 Uhr. Kurz vor zwölf steh ich vor dem Laden, nachdem ich mich in diesem hübschen Dörfchen mit schöner kleiner Einkaufsstrasse durchgefragt habe. Ihr Mann erscheint pünktlich auf die Minute, lässt nur kurz die Scheibe auf der Fahrerseite herunter und reicht mir Kamera und Handschuhe. Ich hatte im Edeka noch ein paar Blumen gekauft, die ich ihm zum Dank überreiche, möchte eigentlich noch zehn Euro dazugeben, aber er ist zu schnell, bedankt sich und fährt gleich wieder ab. Uff... was bin ich froh. Ist aber echt auch nicht einfach, bei all dem Gepäck und den vielen Taschen den Überblick zu behalten. Auf dem Campingplatz ist das kein Problem. Da muss man am Ende einfach gucken, ob noch was in der Wiese liegt oder nicht ;-)

Geocachen im Watt

Geocachen im Watt.

Ich nutze die Gunst der Stunde und gehe nach der Übergabe nochmal zurück in den Laden und decke mich mit dem Nötigsten ein. Meine Taschen füllen sich. 750 Gramm Müslimischung dazu Milch und Joghurt fürs Frühstück, ein paar Mars für zwischendurch und fürs Abendessen kaufe ich ein Döschen Muscheln an Tomatensauce und ein Pack Nudeln. Für Unterwegs kommen noch zwei Flaschen Apfelschorle dazu. Das genügt dann mal fürs erste. Vor dem Laden lacht mich noch ein duftender Erdbeer Stand an. Hinter der Auslage steht eine ältere, freundliche Bauersfrau mit der ich ein paar Worte wechsle. Dem süssen Duft der reifen Früchte kann ich nicht widerstehen und so kommt noch ein halbes Kilo Erdbeeren ins Gepäck. Beim Bäcker im Eingangsbereich hole ich mir noch ein Sandwich und ein Stück Kuchen für unterwegs.

Nun ziehts mich aber weiter. Es ist schon wieder halb eins und ich habe heute noch kaum Strecke gemacht. So versuche ich auf möglichst direktem Weg den nächsten Checkpoint meiner Deutschland-Challenge anzufahren. Stage 4, wo es wieder eine Zahl zu finden gibt liegt in Dagebüll... mano, ich kann mir diese Ortschaften beim besten Willen nicht merken und muss während der Schreiberei stetig Google Maps zuhilfe nehmen. In Dagebüll fahren die grossen Fähren nach Föhr und Amrum. Hier hatte ich mir bei der Tourenplanung auch noch einen interessant klingenden Geocache ausgesucht. Die Dose ist im Watt versteckt und kann nur bei Ebbe gefunden werden. So peile ich, nachdem ich kurz am Fährhafen den Schiffen zugeschaut habe, den Punkt am Deich an, von wo man auf dem kürzesten Weg zum Döschen waten kann. Ich stelle mein Rad ab, setze mich auf ein kleines Treppchen, das vom Weg hinunter ins Watt führt und vespere erst mal mein Sandwich. Den Kuchen, den ich eigentlich für später gekauft hatte, verdrückte ich gleich auch noch und zwei handvoll Erdbeeren gibts dann auch noch zum Dessert. Fahrradfahren macht hungrig. Frisch gestärkt ziehe ich die Schuhe aus, packe alle Wertsachen in meine Lenkertasche die ich mir umhänge und betrete zum ersten mal in meinem Leben ganz gespannt das Watt. Ich dachte das man da mindestens knöcheltief einsinkt, aber weit gefehlt. Ich stehe (zumindest hier war es so) auf schön festem Untergrund und die Pfützen oder Wasserlachen sind durch die Sonne aufgeheizt und wunderbar warm. Mein GPS führt mich Meter für Meter näher an den vermeintlichen Nullpunkt. Der angepeilte Punkt liegt ca. 130 Meter vom Ufer entfernt und ich entdecke tätsächlich eine vielleicht 25x25 Zentimeter grosse Steinplatte, die nur leicht von etwas Sand bedeckt ist. Ich hebe sie an und finde darunter eine in den Sand eingegrabene grössere Röhre mit Deckel. Darin ist ein weiterer Behälter, der eine wasserdichte Dose mit dem Logbuch enthält. Was für eine lässige Idee, um einen Geocache zu verstecken und einen Binnenbewohner ins Watt zu locken. Ich freue mich über den Fund, schreibe mich im Logbuch ein und baue die ganze Sache wieder zurück.

Natürlich kostet das alles sehr viel Zeit, aber genau darum habe ich mir auch vier Wochen Urlaub genommen, um solche zusätzlichen Erlebnisse in meine Tour einbauen zu können. Keinen Kilometer von diesem lustigen Cache im Watt entfernt, liegt auch der vierte Posten der Deutschlandtour. Meine ganze Deutschlandreise von Sylt nach Oberstdorf basiert auch auf einem langen Multi-Cache an dem man an 25 Stationen Informationen suchen muss, aus denen sich dann die Koordinaten für den Endcache berechnen lassen. Ich meine, dass es streckenmässig der längste Cache in Deutschland ist. Verrückt, aber mir macht dieses Hobby einfach unheimlichen Spass. Schlussendlich war es auch dieser Cache der mich zu dieser Reise animierte. Ich entdeckte ihn zufällig beim herumstöbern auf der Geocaching-Plattform und nach meiner Wanderung von München nach Venedig von vor drei Jahren, liess mich die Idee einfach nicht mehr los. Und nun habe ich diesen Traum in die Tat umgesetzt und radle den 25 vorgegebenen Stationen von Norden nach Süden nach, um mich am Ende irgendwo in den Allgäuer Alpen in ein kleines Logbüchlein einzutragen. Das schöne an dieser Aufgabe ist, dass man trotz den vorgegebenen Punkten, sich die Route selber heraustüfteln muss und auch das macht mir grossen Spass. Die Aufgabe die ich hier an der 4. Zwischenstation lösen muss ist ziemlich tricky. Ich muss nach einem Städtenamen aus dem Ruhrpott suchen. Es ist naheliegend, dass der sich wohl irgendwo auf dem schmalen Geleise der Lore befinden muss, die hier durch fährt, denn etwas anderes ausser Wiese, Weg und Deich gibt es hier nicht. Ich habe schon öfter von den Loren gehört die hier das Festland mit der Hallig verbinden, aber dass in der kurzen Zeit wo ich hier Rast machte gleich mehrere an mir vorbei fahren, hat mich dann doch überrascht. Mit den Loren werden Güter und auch Menschen auf die Halligen transportiert. Erbaut wurden sie als Materialbahnen für den Bau der Deiche, danach dann einfach als nützliches Transportmittel für die Halligbewohner umgenutzt. Fast jeder der Bewohner hat sein eigenes selbst gebautes Fahrzeug und spezielle Regeln, sorgen dafür, dass sie irgendwie aneinander vorbei kommen.

Bei Nordstrand

Bei Nordstrand.

Inzwischen ist es schon wieder 15 Uhr und ich will noch ein bisschen Strecke machen. Schon wieder ;-) Das Wetter verschlechtert sich ständig. Ein Umweg wegen Bauarbeiten am Damm kostet mich dann nochmal unnötig Zeit. Anstatt dem Deich zu folgen, werden die Radler ein ganzes Stück in einem grösseren Bogen durchs Landesinnere umgeleitet. Nach einer halben Stunde Umweg lande ich dann wieder auf der Normalroute am Deich. Ich möchte den Wetterradar und die nächsten Campingplätze auf meiner Route checken, aber hier gibts kein Netz. Die Wolken sind inzwischen bedrohlich dunkel, also schnell weiter, aber keine zehn Minuten später beginnt es zu regnen. Ich bin auf diesem Streckenabschnitt immer noch damit beschäftigt, alle drei Minuten Weidetore zu öffnen. Meist schliessen sie sich durch eine Feder oder eine Konstrukion von selbst, was meist mit einem lauten Geräusch verbunden ist. Langsam habe ich von den endlosen Deichwegen genug, aber mein Weg führt nun mal hier durch. Zwischenzeitlich giesst es ganz schön und ich überlege, ob ich einen Teil der Strecke abkürzen soll, aber just in dem Moment kommen ein paar rüstige Senioren an mir vorbei und motivieren mich, doch um die Halbinsel zu fahren und nicht einfach quer durch. Ich lasse mich von diesem Zuspruch anspornen und bleibe auf meiner geplanten Route. So umrunde ich fast ganz Nordstrand, ein grosses Naturschutzgebiet und Vogelparadies. Hinter dem Deich liegen hier viele Salzseen, die die Vögel anlocken. Vögel gibts hier in Friesland aber überall viele ;-) Nordstrand war bis 1987 eine Marschinsel und wurde dann eingedeicht und somit Teil des Festlandes. Ich bin froh als ich in einem kleinen Nest ein Restaurant entdecke. Bei Kolle’s Fisch Bistro stelle ich bei Regen mein Fahrrad ab und lege eine Pause ein, um etwas zu essen und mich wieder etwas aufzuwärmen. Eigentlich wollte ich nur schnell ein Brötchen zum mitnehmen kaufen, aber ich setze mich dann doch hin und schaue auf dem Laptop wo der nächste Campingplatz liegt. Draussen beginnt es grad wieder wie aus Kübeln zu giessen. Wenigstens diesen Schauer habe ich trocken überstanden. Ich entscheide mich dann, noch bis kurz vor Husum weiter zu fahren und dort dann je nach Wetter zu entscheiden, wie und wo ich übernachten werde. Leider hört der Regen aber nicht mehr auf und so werden die letzten 25 Kilometer des heutigen Tages unangenehm nass. Zu allem Übel bläst auch noch ein fieser Gegenwind. Ich schaue weder nach links noch rechts. Einfach Augen zu und durch. Kurz nach acht erreiche ich dann den Campingplatz. Wäre ich vorher an einer Pension oder einem kleinen Hotel vorbeigekommen, wär ich dort abgestiegen, aber da der Regen kurz vor acht aufhörte entscheide ich mich trotzdem für den Campingplatz. Das Zelt kann ich regenfrei aufstellen. Einzig die Wiese ist noch nass, aber das stört nicht gross. Das Backfisch-Brötchen das ich in der kleinen Kneipe auf Nordstrand gegessen hatte war ziemlich deftig und so hält sich mein Hunger in Grenzen. Zum Kochen habe ich bei diesen Verhältnissen auch keine Lust. Ich sehne mich nach einer heissen Dusche. Zuerst heisst es aber auspacken und Zelt aufstellen. Danach geniesse ich ausgiebig das heisse Nass und schlüpfe in frische, trockene Kleider. Wunderbar, jetzt gehts mir wieder gut. Dumm nur dass ich seit zwei Stunden ein fieses Kratzen im Hals spüre. Ich hoffe dass ich mich nicht erkältet habe und das Kratzen nur ein Streifschuss ist. Auf sowas hab ich grad gar keinen Bock.

Inzwischen ist es Zeit für den Schlafsack. Es ist schon wieder elf. Die Schreiberei dauerte wieder ewig. Ich habe mich zum Schreiben in den geheizten Aufenthaltsraum gesetzt. Hier gibts auch eine Steckdose, wo ich den Laptop anschliessen kann und kann somit meine Powerbank schonen. Draussen hat es zwar nicht mehr geregnet, es ist aber immer noch recht windig und kühl. Ich freu mich auf einen warmen Schlafsack und eine Mütze Schlaf. Morgen soll das Wetter besser werden und übermorgen soll dann der Sommer wieder richtig zurück sein. Hoffen wir, dass die Prognosen stimmen.

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