Deutschland-Reise:
Mit dem Fahrrad von Sylt nach Oberstdorf

Tag 3: Dienstag, 11. Juni 2019
Abstecher nach Dänemark

Sylt – Rømø - Neudorf
[Karte]

Radreise Teil 1 (Tage 1 – 3)

Anreise mit dem Nachtzug nach Westerland, Sightseeing Sylt und Weiterreise mit der Fähre nach Rømø. Durch ein Stück Dänemark gehts zurück nach Deutschland.

Als ich in der Nacht aufwache regnet es. Uff... muss jetzt nicht sein. Aber mein Schlafsack ist so schön kuschlig, dass ich schnell wieder einschlafe und hoffe, dass es sich bis am Morgen ausgeregnet hat. So gegen sieben werde ich wieder wach und bin froh, dass der Regen aufgehört hat. Die Fähre fährt um halb elf, also kein Grund schon aufzustehn und prompt nicke ich wieder ein. Als ich das nächste mal wach werde ist bereits halb neun durch und ich bin schlagartig wach und werde etwas hektisch. Aufstehn, waschen, aufs Klo, Zähne putzen, packen, Zelt abbauen, das alles dauert ein Weilchen. Gut war ich gestern schon kurz in List und weiss jetzt, dass man da in einer Stunde hinkommen sollte. Kurz nach halb bin ich parat und düse los. Wunderbar, wie ruhig am Morgen hier alles ist. Die Fahrradwege sind leer, auch auf den Strassen hat es kaum Verkehr. Meine Rechnung geht ganz gut auf: Zehn Minuten vor halb elf stehe ich am Ticketschalter der Fähre und kaufe mein Billet. Ich bin erstaunt, dass die Fähre noch nicht am Quai festgemacht hat und frage die Dame hinter dem Schalter, ob die Fähre denn nicht um halb elf fahre. Die Antwort: «Doch schon, aber nicht hier, sondern in Rømø». Na prima!!! Und ich hab gestresst wie nix, nur weil ich den Fahrplan nicht sorgfältig genug gelesen hatte. Seis drum, ich hab ja Ferien und mir wird in der geschenkten Stunde auch nicht langweilig. Ich fahre schnell zu Edeka, wo ich gestern schon eingekauft hatte und hake damit gleich noch die Challenge «nördlichste Edeka-Filiale von Deutschland» ab ;-) Das steht dort so im Laden und ich muss schmunzeln, als ichs lese. Passt doch prima zu meiner Nord-Süd Herausforderung. Ich hole mir für Unterwegs noch zwei Apfelschorle, O-Saft und ein paar Mars-Riegel. Beim Kaffeegestell packe ich mir noch ein kleines Päckchen Lavazza ein, dann kann ich mir bei meinem nächsten Camping-Frühstück einen leckeren frischen Kaffee kochen. Danach gehts noch zum Bäcker, wo ich mir ein gemütliches Frühstückchen gönne. Als ich der Verkäuferin sage, ich könne mich nicht zwischen Schoko-Croissant und Apfelkuchen entscheiden, bekomme ich natürlich zur Antwort: «Dann nehmen sie doch beides». Hmm... macht natürlich Sinn und so lasse ich mir das Croissant einpacken und geniesse den leckeren Apfelkuchen mit etwas lüttrigem Fileterkaffee an einem Stehtischchen.

Die Fähre nach Rømø

Die Fähre nach Rømø.

Dummerweise setzt just, als ich mich in der Bäckerei etwas aufwärmen kann, ein Regenschauer ein. Ich bin zu faul, mir für die 400 Meter zur Fähre mein Regenzeug hervorzukramen und hoffe, dass ich unter dem Regen durchfahren kann und nicht allzu nass werde. Das schaff ich nicht ganz ;-) Leicht angefeuchtet, aber nicht richtig nass, stelle ich mich dann – zum Glück überdacht – in die Reihe der bereits wartenden Fussgänger und Radler. Die Fähre ist innen schön hergerichtet und wartet mit einem grossen, freundlich eingerichteten Restaurant, einer Bar und einem in Parfumwolken getauchten DutyFree Shop auf. Ich setz mich an ein Tischchen, wo ich eine Steckdose erspäht habe und bestell mir nochmal einen Kaffee, stecke meinen Compi ein und schreibe den Text von gestern Nacht noch zu Ende. Von der Überfahrt bekomme ich deshalb kaum etwas mit. Macht aber nichts, denn es gibt draussen auch nichts zu sehn Inzwischen hat es sich so richtig eingeregnet und es ist düster und verhangen. In Rømø stell ich mich nach dem Aussteigen erst mal unter und konsultiere den Regenradar. Ein kluger Entscheid, denn darauf sehe ich, dass der Regen bald vorbei sein sollte. So gedulde ich mich nochmal 20 Minuten, bis der Regen dann tatsächlich fast aufhört und fahr bei nur noch leichtem Niesel los. Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich auf dänischem Boden.

Trotz der Nähe zu Sylt schaut es hier auf der Insel ganz anders aus. Ich sehe keine Dünen, dafür viel mehr Wald. Die steppenartigen Dünenlandschaften mit Erika und niederem Bewuchs kann ich hier auch nicht entdecken. Zumindest im von mir besuchten nördlichen Teil von Sylt dominierte diese Landschaft doch sehr. Mir gefällts hier Rømø, trotz des trüben Wetters. Begeistert bin ich von den vielen alten Bauernhöfen. Oft sind es sehr grosse Höfe mit noch grösseren Stallungen. Der Radweg ist schön geteert und angenehm zu fahren, auch wenn er oft direkt an der Hauptstrasse liegt. Bei dem wenigen Verkehr hier aber überhaupt kein Problem. Dumm nur, dass ich schon nach kurzer Fahrt meine erste Panne habe. Mein Hinterrad beginnt zu eiern und nach ein, zwei Minuten ist fertig lustig und ich halte an, bevor ich auf den Felgen fahre. Um den Schaden zu beheben muss erst mal sämtliches Gepäck abgeladen und das Rad auf den Kopf gestellt werden. Zum Glück hab ich mit Plattfüssen inzwischen ein bisschen Erfahrung und weiss, dass man den Mantel ganz genau untersuchen muss und nicht einfach den Schlauch wechseln oder flicken, wieder aufziehen und weiterfahren. Tatsächlich ertaste ich dann auch die Ursache für den Plattfuss. Kaum merklich hat sich ein klitzekleines, aber messerscharfes Steinchen durch den Mantel geschnitten und steckt dort immer noch fest. Es ist kaum zu spüren und ich bin froh, dass ich so genau geschaut, beziehungsweise getastet habe, denn nichts ist ärgerlicher, als wenn nach einer Reifenpanne, nach ein paar Metern oder Kilometern der nächste Plattfuss auftritt. Das fiese Teilchen konnte ich dann aus dem Reifen herauspulen, den Schlauch hab ich ersetzt und werde den kapputten, dann bei Gelegenheit reparieren.

Nach etwa einer Stunde kann die Reise dann weiter gehen. Es ist schon fast 14 Uhr und ich bin noch nicht sehr weit gekommen. Trotzdem mache ich noch einen Abstecher von etwa sieben Kilometern, um einen Cache zu suchen, wo ich zuhause schon ein Rätsel gelöst hatte, welches mir die Koordinaten lieferte. Also geht es nicht gleich auf den Damm, der zurück aufs dänische Festland führt, sondern noch ein Stück weiter in nördlicher Richtung und dann in einem scharfen Rechtsknick Richtung Deich zum Versteck. Der Abstecher lohnt sich. Ich werde mit einer trickreich versteckten kleinen Dose belohnt, die ich mithilfe meines Taschenmessers dann irgendwie aus einem grossen Metalltor herausschrauben kann. Der Blick auf die Watt- und Insellandschaft ist auf diesem leicht erhöhten Deichstück auch ganz hübsch. Danach gehts wieder ein paar Kilometer zurück und über den Damm aufs Festland. Mano, ist das langweilig. Ich bin über eine halbe Stunde auf dem Damm unterwegs. Pfeifengerade und schön im Gegenwind. Der hat sich gegen meine Erwartung gedreht. Gestern freute ich mich noch darüber, dass er aus Nordosten bliess. Darum rechnete ich für den heutigen Tag eigentlich mit Rückenwind. Aber irgendwie hat sich die Lage in der Nacht wohl geändert und ich kämpfe auf dem Damm und dann später auch auf dem Festland permanent gegen den Wind an, der heute konsequent aus südlicher Richtung bläst. Aber was solls, zumindest bläst er auch die Regenwolken weg. Ich durchquere auf dem Festland ein paar ganz nette Dörfchen und freute mich über die vielen hübschen alten Backsteinhäuser. Wie schon auf Rømø radle ich auch auf dem Festland an vielen alten Bauernhäusern vorbei. Ich bin richtig entzückt von diesem Dänemark. Einzig die vielen ewig langen Geraden finde ich jetzt nicht so prickelnd. Ich mag ewiges geradeaus fahren nicht besonders, aber wenn man eine Reise in diese Gegend unternimmt, kommt man da wohl nicht drum herum und muss sich darauf einstellen. Höhenmeter gibts hier natürlich auch keine zu überwinden. Der grösste «Berg» war an diesem Tag wahrscheinlich die fünf Meter hohe Rampe auf den Damm hinauf.

Altes Zollhäuschen

Grenzübergang zu Deutschland. Altes Zollhäuschen.

Gegen halb sieben erreiche ich dann wieder Deutschland. Zwischenzeitlich lugte auch mal die Sonne hervor, aber das war nur von kurzer Dauer. Inzwischen ist der Himmel wieder grau in grau und ich befürchte schon bald den nächsten Regenschauer. Der bleibt zum Glück aber aus. Den Grenzübergang hätte ich wohl übersehen, wäre dort nicht eine Station meiner Deutschlandtour gewesen, wo ich eine Frage dazu beantworten musste. Auf einer Infotafel die neben dem alten Grenzhäuschen angebracht ist steht, dass dieser Grenzübergang früher zwar mit Zollbeamten besetzt war, es aber kein offizieller Übergang war. Dies zum Leidwesen eines dänischen Bauern, dessen Hofausfahrt auf deutsches Gebiet führte und er jedesmal gezwungen war, die verschlossene Grenzbarriere zu öffnen und hinter sich wieder zu schliessen. Aus Protest soll er den Grenzbaum, zum Leidwesen der hierhin strafversetzten Zöllner, auch immer mal wieder absichtlich geöffnet gelassen haben. Eine lustige Geschichte, die heute wohl kaum mehr denkbar wäre. Ein weiterer Geocache, den ich mir bei der Tourenplanung herausgesucht hatte, bringt mich dann noch an den nördlichsten Grenzstein auf dem Festland. Es gibt 280 Grenzsteine entlang der deutsch/dänischen Grenze. Der letzte mit der Nummer 280, steht hier auf dem in den 80er Jahren erbauten Deich in einem Naturschutzgebiet. Ich muss dazu noch eine Aufgabe lösen, die ich aber nur dank einem Whatsapp-Schubser aus der Schweiz schaffe, weil mein Hirn wohl ferienhalber nur noch auf halber Kraft läuft. Leider kann ich das Gesuchte dann aber trotzdem nicht finden. Ich habe aber auch keine Geduld mehr und möchte weiter. Inzwischen ist es schon 20 Uhr und ich habe noch keinen Plan, wo ich schlafen soll. Eingekauft habe ich auch noch nicht, was heissen würde, falls ich Campen würde, dass ich mit leerem Bauch ins Bett müsste. Drei Marsriegel sind noch das einzig essbare, das ich dabei habe. Ich glaube nicht, dass ich davon heute satt werde. So hoffe ich, dass ich noch irgendwo an einem geöffneten Tankstellenshop vorbei komme, um mir dort noch etwas essbares zu kaufen. Das scheint mir in dieser dünn besiedelten Gegend eher unwahrscheinlich.

Aber ich habe Glück und komme vor der Tanke an einem ganz netten Landgasthof vorbei und entscheide mich kurzerhand, hier abzusteigen und das Campen für heute bleiben zu lassen. Ich habe kalt und bin von der Salzluft ziemlich klebrig. Der Gedanke, mich unter einer heissen Dusche wieder aufzuwärmen und mich weder um Zelt noch Essen kümmern zu müssen, macht den Entscheid mehr als einfach. Ich bekomme ein nettes Einzelzimmer, die Fischerkoje. Den Gasthof leitet eine ziemlich gesprächige Polin mit starkem Akzent. Umso mehr wundere ich mich darüber, als sie mich nach meinem ersten Satz als Schweizer enttarnt. Von einem waschechten Deutschen hätte mich das überhaupt nicht verwundert, dass er meine Herkunft schnell heraus hört, aber von jemandem der selber ein holpriges Deutsch mit starkem Akzent spricht, hätte ich das nicht erwartet. Bevor ich dann mein Essen bestellen kann, erfahre ich erst mal die Lebensgeschichte von Leo, ihrem Hund, der mir bellend und schwanzwedelnd entgegen kam, als ich frisch geduscht in die leere Gaststube eintrat. Als Extra folgt dann noch die Geschichte vom zugelaufenen Kater, der später an eine Familie verschenkt wurde, die hier mal zu Gast war. Als ich mich nach einem etwas zu langen Augenblick dann endlich traue, die Erzählung zu unterbrechen um meine Bestellung aufgeben zu können gehts aber recht fix. Hier im Norden muss man ja nicht die obligaten Schweins-, Rinds- oder anderen Fleisch-Gerichte essen, die auf fast jeder deutschen Speisekarten stehen, wenn es als Alternative hier Matjes-Filets an drei Saucen mit Bratkartoffeln und Salat gibt. Ich war ehrlich gesagt etwas skeptisch, was mir hier serviert werden würde: Ein leerer Gasthof und eine etwas zu umfangreiche Karte. Sowas kann einen schon skeptisch werden lassen. Ich werde aber positiv überrascht. Bratkartoffeln sind eigentlich gar nicht so mein Ding, aber was ich hier serviert bekomme ist richtig lecker. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so gute Bratkartoffeln gegessen zu haben.

Grenzstein 280

Der nördlichste Grenzstein auf dem Festland.

Die gesprächige Wirtin setzt sich nachdem ich gegessen habe nochmal zu mir an den Tisch, was mir nicht unangenehm ist, ausser dass ich nun wieder nicht los komme ;-) Wirklich witzig wirds, als sie mir erzählt, dass sie das nördlichste Hotel auf dem deutschen Festland führe. Worauf ich ihr natürlich von meinen Plänen erzähle und ganz stolz präsentieren kann, dass ich schon im nördlichsten Edeka, dem nördlichsten Punkt überhaupt und dem nördlichsten Punkt des Festlandes von Deutschland war. Darauf wird mir dann gleich noch ein Schnäpschen offeriert, an dessen Name ich mich nicht mehr erinnern kann. Es schmeckt ganz gut und als ich nachfrage, was ich da trinke, meint die Wirtin, dass es was ähnliches wie Aquavit sei. Diese Info hilft mir aber auch nicht gross weiter, weil ich meines Wissens noch nie Aquavit getrunken habe. Irgenwann kann ich mich dann doch noch durchringen sie zu fragen, wann es morgen Frühstück gibt, wie das Passwort fürs Internet heisst und ob ich jetzt oder morgen bezahlen soll, da ich nach diesem langen Tag langsam müde sei und noch ein paar Minuten (hüstel) für mein Reisetagebuch bräuchte. Ok, eine Geschichte erzählt sie dann doch noch, danach kann ich mich dann aber absetzen und verziehe mich in mein Fischerkämmerchen. Ach wie liebe ich diese kleinen Geschichten, die man auf solchen Reisen erlebt. Für die meisten mag das nichts besonderes sein, für mich irgendwie schon.

Inzwischen ist es schon wieder kurz vor Mitternacht. Auch gestern wars schon so spät geworden. Aber ich bin nicht ganz so müde, freu mich jetzt aber auf ein kuschliges Bett und lass den morgigen Tag einfach wieder auf mich zukommen, auch wenn ich gerne die nächsten Kilometer meiner Route etwas vorsondiert hätte, um z.B. nach einem möglichen Campingplatz zu schauen. Aber seis drum, jetzt ist es zu spät und hier im Zimmer ist es auch nicht sehr warm. Ich will unter die Decke und schau dann einfach, wie es morgen weiter geht. Buona notte.

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